Urteil zu tödlichem Medikament
WDR aktuell. 10.11.2023. Verfügbar bis 07.11.2025. WDR. Von Ole Hilgert.
Urteil: Todkranke haben kein Recht auf Medikament zur Sterbehilfe
Stand: 07.11.2023, 14:00 Uhr
Das Bundesverwaltungsgericht hat heute entschieden, dass der Staat nicht verpflichtet ist, Menschen mit Sterbewunsch Zugang zu Natrium-Pentobarbital zu verschaffen. Das Mittel ermöglicht den Suizid ohne ärztliche Hilfe.
Zwei schwerkranke Männer wollten mit ihrer Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig erreichen, dass sie ganz legal ein tödlich wirkendes Gift erwerben dürfen. Beide hatten schon 2017 beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn die Erlaubnis zum Erwerb von Natrium-Pentobarbital beantragt. Das Bundesinstitut hatte dies abgelehnt, ebenso wie die gleich lautenden Anträge von hunderten weiteren Personen.
Der Fall war auch deshalb kompliziert, weil die beiden Kläger nicht beabsichtigten, das Medikament sofort einzunehmen. Sie wollten es aufbewahren, damit sie bei einer dramatischen Verschlechterung ihrer Gesundheit nicht lange leiden müssen.
Das Bundesverwaltungsgericht wies die Klage am Dienstag zurück. Die Richter begründeten die Entscheidung damit, dass es zumutbare Optionen gebe, dem eigenen Leben medizinisch begleitet ein Ende zu setzen. Diese seien mit dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben, das das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 festgestellt hatte, vereinbar. Einer der Kläger äußerte sich gegenüber dem NDR enttäuscht: "Wir werden wieder bevormundet. Das ist nicht nachvollziehbar."
Gibt es in Deutschland ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben? Warum wurden die Anträge abgelehnt? Könnten die Kläger auch einen anderen Weg wählen? Fragen und Antworten.
Was für ein Mittel ist Natrium-Pentobarbital?
Es handelt sich um ein hoch wirksames Betäubungsmittel. In geringer Dosierung wirkt das Medikament beruhigend und schlaffördernd, die tödliche Dosis liegt in der Regel bei einigen Gramm. Bei einem Suizid wird das Mittel in einem Glas Wasser aufgelöst. In der Regel schläft die Person nach der Einnahme innerhalb von wenigen Minuten ein und wird bewusstlos. Der Tod tritt kurz darauf durch Atemstillstand ein.
Warum hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte die Anträge abgelehnt?
Die Verantwortlichen berufen sich auf das Betäubungsmittelgesetz. Dort sei klar festgelegt, dass Medikamente nur für die Therapie und die Linderung von Krankheiten eingesetzt werden dürfen. Damit sei auch eine Vergabe auf Rezept rechtlich nicht möglich. Der frühere Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte 2018 das Bundesinstitut angewiesen, solche Anträge grundsätzlich abzulehnen.
Begründung: Der Staat dürfe nicht über Leben und Tod entscheiden. Die Bundesregierung setzte sich damit bewusst über ein 2017 gefallenes Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hinweg. Die Richter hatten damals entschieden, dass der Staat die Vergabe von Suizidmitteln "in extremen Notlagen" nicht verweigern dürfe.
Gibt es ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben?
Im Prinzip ja. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Jahr 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung gekippt und ein weitreichendes Recht auf selbstbestimmtes Sterben formuliert. Allerdings bezieht sich dieses Recht nur auf passive Sterbehilfe: Der Betroffene muss dabei das tödliche Mittel ohne fremde Hilfe einnehmen.
Weiterhin verboten bleibt die aktive Sterbehilfe, bei dem ein Helfer das Gift verabreicht. Gleichzeitig forderten die Richter die Bundesregierung dazu auf, einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, der die genauen Bedingungen für die Vergabe von Suizidmitteln regelt. Dabei sollte die Politik auch Lösungen finden, wie Missbrauch sicher verhindert werden kann. Das ist nicht geschehen: Assistierte Suizide finden bis heute in einer rechtlichen Grauzone statt.
Könnten die Kläger auch einen anderen Weg gehen?
Die staatliche Vergabe von Suizidmitteln wurde seit 2017 schon mehrmals von Gerichten geprüft. Sowohl das Verwaltungsgericht Köln, das Oberverwaltungsgericht Münster (OVG) als auch das Bundesverfassungsgericht urteilten, dass dafür noch die rechtliche Grundlage fehlt. Stattdessen empfahl das OVG in Münster den Klägern, sich an Ärzte zu wenden, die zur Beihilfe beim Suizid bereit sein. Mediziner könnten auf eine ganze Reihe von potenziell tödlichen Medikamenten zurückgreifen, deren Ausgabe nicht beim Bundesinstitut für Arzneimittel beantragt werden muss.
Auch "geschäftsmäßige Angebote" der Suizidhilfe seien seit dem entsprechenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts wieder erlaubt. Alternativ können sich Menschen aber auch an Sterbehilfe-Vereine im Ausland wenden: In mehreren europäischen Ländern ist auch aktive Sterbehilfe unter bestimmten Bedingungen erlaubt.
Warum gibt es noch kein Bundesgesetz zum Thema?
Im Sommer hatte der Bundestag über zwei konkurrierende Gesetzentwürfe zum Thema beraten. Keiner der beiden Entwürfe erreichte eine Mehrheit. Neben ethischen und religiösen Vorbehalten nannten mehrere Abgeordnete die Missbrauchsgefahr als Grund für ihre ablehnende Haltung. Wann es einen neuen Anlauf für ein Gesetz geben könnte, ist unklar.
Haben Sie Suizidgedanken? Hier gibt es Hilfe
Wer Suizidgedanken hat, dreht sich dabei innerlich meist im Kreis. Dadurch wirkt die Situation festgefahren, der Teufelskreis lässt sich aber durchbrechen. Anonyme und kostenlose Hilfe finden Betroffene zum Beispiel bei der Telefonseelsorge unter den Rufnummern 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222 sowie 116 123. Per Chat bietet die Telefonseelsorge auf dieser Webseite Unterstützung. Die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention listet hier Beratungsstellen für persönliche Gespräche auf.
Quellen
- Katholische Nachrichten-Agentur
- Deutsche Presse Agentur
- Agence France-Presse
- Norddeutscher Rundfunk (NDR)