Palästinensische Unterstützer versammeln sich in Berlin

Aktuelle Stunde 12.10.2023 UT Verfügbar bis 12.10.2025 WDR Von Raphael Markert

Nach Pro-Palästina-Demo: Das denken die Menschen in Duisburg-Hochfeld

Stand: 12.10.2023, 21:43 Uhr

Vor drei Tagen zog eine pro-palästinensische Demo durch Duisburg-Hochfeld. Bei den Anwohnern gehen die Meinungen darüber weit auseinander. Ein Besuch vor Ort.

Von Jörn Kießler

Es regnet am Donnerstagvormittag an der Pauluskirche in Duisburg-Hochfeld. An der Kreuzung zwischen Wanheimer Straße und Karl-Jarres-Straße stauen sich ein paar Autos, Menschen warten an der Haltestelle auf die Straßenbahn, und vor dem Kiosk an der Ecke steht ein Gruppe junger Männer, plaudert und trinkt Kaffee.

Vor drei Tagen sah das anders aus. Da feierten gut 100 pro-palästinensische Demonstranten den Angriff der Hamas auf Israel. Nach ihrem Zug über die Wanheimer Straße stieß die Kundgebung an der Pauluskirche auf Demonstrierende, die ihre Solidarität mit Israel bekundeten. 

"Die Hamas ist eine Terrororganisation"

"Da war hier vor der Tür richtig was los", sagt der Inhaber eines Internetcafés direkt gegenüber der Pauluskirche. "Ich habe an dem Tag sogar meinen Laden eine halbe Stunde früher zugemacht." Seinen Namen möchte er ungern nennen, auch weil er eine klare Meinung zu der Veranstaltung hat.

"Ich verstehe gar nicht, warum die Demo überhaupt genehmigt wurde", so der 33-Jährige. Schließlich hätten die Demonstranten Sympathie für eine Terrororganisation ausgedrückt. Ähnlich hatte sich am Dienstag bereits Ministerpräsident Hendrik Wüst geäußert und angekündigt, das Land werde "alle rechtlichen Möglichkeiten nutzen, diese Demonstrationen einzuschränken und wenn es geht, auch zu verbieten."

"Samidoun" hatte die Demo angemeldet

Ähnliche Bestrebungen gibt es bezüglich des Netzwerkes "Samidoun", das die Demo am Montag gemeinsam mit dem Bündnis "Palästina Solidarität Duisburg" angemeldet hatte. "Samidoun" unterstützt laut "Jüdischem Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus" die Terrorgruppe "Volksfront zur Befreiung Palästinas" (PFLP) und wurde in Israel 2021 als terroristische Organisation eingestuft.

Auch der junge Inhaber des Internetcafés, der 2016 nach Deutschland kam, nachdem er vor dem IS aus dem Irak geflüchtet war, verurteilt die terroristischen Angriffe der Hamas auf Israel ganz deutlich. Seine Kunden sähen das ebenfalls so, sagt er. Das werde immer wieder klar, wenn er sich mit ihnen darüber unterhalte.

"Alle, die unschuldige Menschen töten, sind Terroristen"

Ein paar Hauseingänge weiter wird der Konflikt im Nahen Osten hingegen ganz anders bewertet. "Für mich sind alle, die unschuldige Menschen töten, Terroristen. Auch Israelis", sagt der Mitarbeiter eines türkischen Haushaltswarengeschäfts, der seinen Namen ebenfalls nicht nennen will. Seit Jahren würden die Menschen im Gaza-Streifen von der israelischen Regierung und dem Militär unterdrückt. "Irgendwann musste so etwas passieren wie der Angriff der Hamas", sagt der 43-Jährige, der in Duisburg als Sohn türkischer Einwanderer geboren wurde.

Für solche Aussagen hat die Antisemitismusbeauftragte des Landes NRW nicht das geringste Verständnis. "Ich bin wirklich tolerant und der Konflikt im Nahen Osten geht auf eine lange Geschichte zurück", sagt Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Gespräch mit dem WDR. In ihrer Rolle als Antisemitismusbeauftragte ist sie in ganz NRW gut mit den jüdischen Gemeinden vernetzt und wird auch immer wieder mit Aussagen konfrontiert, mit denen der Hass auf Israel gerechtfertigt werden soll. "Auf diese Weise zu versuchen, solche Gräueltaten und unmenschliche Angriffe zu rechtfertigen, ist nicht hinnehmbar."

"In Deutschland gibt es eine Doppelmoral"

Für den Mitarbeiter des Haushaltswarengeschäfts in Hochfeld zeugen solche Argumente von einer "Doppelmoral". "Das liegt daran, dass nie über die unschuldigen Palästinenser berichtet wird, die seit 60 Jahren im Gaza-Streifen sterben", sagt er. "Und auch nicht über die Kriegsverbrechen der israelischen Soldaten."

Im Café, das zu einer Moschee direkt an der Wanheimer Straße gehört, ist die schlechte Meinung über deutsche Medien sogar noch extremer. Man wolle sich nicht zu dem Konflikt äußern, weil "Ihr ja ohnehin schon wisst, was ihr schreibt", heißt es dort.

Verschwörungstheorien heizen Konflikt weiter an

Burak Yilmaz, Buchautor aus Duisburg

Burak Yilmaz

Die Reaktionen decken sich mit den Erfahrungen von Burak Yilmaz. "Im Moment kochen die Emotionen, und das ist nicht gut", sagt der Duisburger Autor, der unter anderem Vorträge über Antisemitismus hält, im Gespräch mit dem WDR. "Diese Emotionen sorgen dafür, dass der Konflikt weiter angeheizt wird."

Schuld daran sei unter anderem der "lange Arm der Hamas", der bis nach NRW reiche, so Yilmaz. "Hier trifft sie auf einen Nährboden, bei dem auch antisemitische Verschwörungsmythen eine Rolle spielen."

Ein Beispiel dafür ist das, was der Besitzer des türkischen Haushaltswarenladens sagt. Seiner Meinung nach habe der israelische Geheimdienst den Anschlag der Hamas auf das Musikfestival im Süden Israels absichtlich nicht verhindert. "Weil so die Angriffe auf den Gazastreifen gerechtfertigt werden können."

Zulauf für die Hamas nach Angriffen

Für Sabine Leutheusser-Schnarrenberger verfolgt  die Hamas  ganz bewusst eine Taktik der Instrumentalisierung der Bewohner des Gazastreifens. "Wir sehen ja, dass die Hamas militärische Einrichtungen bewusst im zivile Einrichtungen legt", sagt sie. "So wird die Bevölkerung einerseits als Schutzschild genutzt, andererseits kann nach Angriffen behauptet werden, dass Israel absichtlich zivile Ziele attackiert habe."

Sie befürchtet, dass die Kämpfe und die Verteidigung Israels mit Angriffen auf die Hamas dazu führen könnten, dass die Anhänger der Terrororganisation auch in Deutschland Zulauf bekommen. Am kommenden Montag will die Antisemitismusbeauftragte nach Duisburg reisen, um sich dort ein Bild von der Stimmung zu machen.

"Krieg ist immer scheiße"

Viele der Menschen, die dort im Stadtteil Hochfeld arbeiten und leben, können sehr gut zwischen der Hamas und der palästinensischen Bevölkerung unterscheiden. "Ich schaue mir mittlerweile keine Nachrichten mehr an", sagt die 53-jährige Nevin, die in einem arabischen Supermarkt an der Kasse sitzt. "Ich kann nicht sehen, wie die unschuldigen Frauen und vor allem Kinder leiden - auf beiden Seiten."

Alban Ramadani arbeitet in einem Barbershop

Alban Ramadani

Alban Ramadani, der in einem Friseur- und Barbershop auf der Wanheimer Straße arbeitet, fasst es in einem Satz zusammen: "Krieg ist immer scheiße!", sagt der 29-Jährige, der vor vier Jahren aus dem Kosovo nach Deutschland kam. Dafür, die Situation in Israel und dem Gazastreifen beurteilen zu können, stecke er aber nicht ausreichend in dem Thema.

Weitere Demo in Duisburg-Hochfeld

Am Donnerstagabend fand an der Pauluskirche spontan eine weitere Demo statt. Angemeldet hat diese das Bündnis "Palästina Solidarität Duisburg". Das Motto diesmal: "Solidarität mit Samidoun". Allerdings kamen nur sehr wenige Menschen.

Weitere Themen