Gefahr von radikalen Palästinenser:innen-Gruppen in NRW
Aktuelle Stunde. 09.10.2023. UT. Verfügbar bis 09.10.2025. WDR. Von Mathea Schülke, Astrid Houben.
Der lange Arm der Hamas reicht bis nach NRW
Stand: 12.10.2023, 10:27 Uhr
Bundeskanzler Scholz hat heute ein Betätigungsverbot für die Hamas in Deutschland angekündigt. Außerdem soll das palästinensische Netzwerk "Samidoun" verboten werden. Auch in NRW wurde schon länger darüber diskutiert.
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Nach dem Angriff der islamistischen Hamas auf Israel hat Bundeskanzler Scholz heute in einer Regierungserklärung im Bundestag ein Betätigungsverbot für die Terrororganisation in Deutschland angekündigt. Auch der Verein Samidoun, dessen Mitglieder brutalste Terrorakte auf offener Straße feierten, werde in Deutschland verboten, ergänzte er. "Hass und Hetze nehmen wir nicht tatenlos hin. Antisemitismus dulden wir nicht", so Scholz.
Die Terrormiliz Hamas, die am Samstag Israel angegriffen hat, hat auch Verbindungen nach Nordrhein-Westfalen. International ist die Hamas als Terrororganisation eingestuft, auch von der EU. In Deutschland hat die palästinensische Organisation nach Informationen des Verfassungsschutzes "keine offizielle Repräsentanz", es gebe aber Gruppen, in denen sich Unterstützer der Hamas zusammenfinden. Diese sind neben anderen Bundesländern auch in NRW aktiv und werden hier vom Landesverfassungsschutz beobachtet.
Neben ihrem paramilitärischen Arm, den "Izz ad-Din al-Qassam-Brigaden", verfügt die Hamas laut Verfassungsschutz über eine Partei-Organisation, ein soziales Hilfswerk sowie religiöse und karitative Organisationen. Die Hamas soll rund 100 Mitglieder in Deutschland haben.
Deutschland sei ein "Rückzugsraum" der Hamas, die hiesigen Anhänger unterstützten die Organisation vor allem propagandistisch und finanziell, sagt der Verfassungsschutz. Bisherige Aktionen seien nicht gewaltsam gewesen.
Spenden über Tarnorganisationen
Seit einer Gesetzesänderung 2021 dürfen die Flagge und Symbole der Hamas in Deutschland nicht mehr gezeigt werden. Der Bundestag hatte vor zwei Jahren im Strafgesetzbuch festgeschrieben, dass Propagandamittel von Organisationen verboten sind, die - wie die Hamas - auf der EU-Terrorliste stehen.
Zuvor waren bereits einige Organisationen in Deutschland verboten worden, die als Tarnorganisation Spenden für die Hamas sammelten, etwa der "Al-Aqsa e.V." in Aachen. 2019 wurden bundesweit zahlreiche Objekte eines islamistischen Netzwerks durchsucht, an dessen Spitze "World-Wide-Resistance-Help" und "Ansaar International" standen. Bei den Organisationen bestand der Verdacht, dass sie sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung gemäß dem Grundgesetz richten. Sie waren auch in NRW als Hilfsorganisationen tätig.
Spendenverein in Dortmund
Die heute wichtigste Organisation für die Anhänger der Hamas in Deutschland ist nach Angaben der Verfassungsschützer die Palästinensische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (PGD). Darüber hinaus weist der in Dortmund gemeldete Spendenverein "Die Barmherzigen Hände" Bezüge zur Hamas auf. Er soll nach Angaben des Verfassungsschutzes "über ausgeprägte personelle Verbindungen" zur PGD verfügen.
Unterstützung erfährt die Hamas aber auch von anderen Gruppen. Am Montagabend hat etwa in Duisburg-Hochfeld eine Demonstration "in Solidarität mit Gaza" stattgefunden, organisiert vom Zusammenschluss "Palästina Solidarität Duisburg" und dem Palästinensischen Gefangenensolidaritätsnetzwerk "Samidoun".
Anhänger von "Samidoun" hatten am Samstagabend auf den Straßen in Berlin-Neukölln die Angriffe der Hamas auf Israel gefeiert und süße Backwaren verteilt. In NRW verfügt Samidoun nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes über keine festen Strukturen. Die Gruppe sei eine "Vorfeldorganisation der Volksfront zur Befreiung Palästinas" (PFLP).
Die PFLP wiederum gilt beim Verfassungsschutz als "verfassungsfeindliche Organisation" weil sie das Existenzrecht Israels bestreitet. In Israel selbst ist sie seit 2021 als terroristische Organisation eingestuft.
Das Unterstützungsnetzwerk "Samidoun" wurde 2011 mit Hauptsitz in den USA gegründet, Wegen ihrer ideologischen Unterschiede agieren Hamas und PFLP - anders als in Deutschland - im Nahen Osten getrennt.
Reul: "Keine feste Struktur in NRW"
Reul: "Wir beobachten das"
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) verurteilte die "Samidoun"-Aktion in Berlin als "unakzeptabel". Die Organisation werde in NRW aber nicht vom Verfassungsschutz beobachtet, denn: "Bei uns in NRW gibt's keine feste Struktur", so Reul. "Aber soweit wir das beobachten können, beobachten wir das."
Eine Ausweitung des Konflikts auf NRW befürchtet der NRW-Innenminister derzeit nicht: "Im Moment haben wir keinerlei Anzeichen dafür, dass etwas geplant wird."
Entsetzen über Jubel in Berlin
Verena Schäffer, Fraktionsvorsitzende der Grünen im NRW-Landtag, zeigte sich über die "Samidoun"-Aktion in Berlin entsetzt. "Das ist vollkommen inakzeptabel. Die Sicherheitsbehörden müssen die angekündigten antisemitischen Versammlungen genau beobachten und gegen antisemitische Straftaten konsequent vorgehen", so Schäffer.
"Ein solches Verhalten ist mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht vereinbar", erklärte auch Thorsten Schick, Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion, zu den Vorfällen in Berlin. "Deshalb ist es auch richtig und wichtig, dass die EU angesichts des Angriffs der Hamas auf Israel sämtliche Entwicklungshilfezahlungen an die Palästinenser vorerst einfriert."
Verbot von "Samidoun" auch in NRW gefordert
"Die Bilder vom Wochenende auf der Sonnenallee in Neukölln waren zutiefst verstörend. Solche Bilder wollen wir in NRW nicht sehen", erklärte Sven Wolf, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion. Um solche Szenen zu verhindern müsse alles, was mögliche sei, unternommen werden. "Das gilt auch für ein Verbot", so Wolf.
Die AfD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag forderte bereits die Prüfung eines Verbots der Organisation. Sie kündigte an, das Thema in der nächsten Plenarwoche auf die Tagesordnung setzen zu wollen.
FDP: "Keine Haltung, sondern Verbrechen"
Auch der Antisemitismusbeauftragte des Landes Berlin hat nach der anti-israelischen Versammlung in Neukölln ein Verbot von Vereinen gefordert, die Judenhass verbreiten. "Hetzerische Parolen gegen Israel und Antisemitismus sind keine Haltung, sondern ein Verbrechen", betonte Marc Lürbke, innenpolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion. "Wir fordern die schwarz-grüne Landesregierung dazu auf, alles zu unterbinden, was nicht durch die Versammlungsfreiheit gedeckt ist."