Missbrauchsvorwürfe gegen alte Lungenheilklinik in Wülfrath-Aprath
Lokalzeit Bergisches Land. 26.02.2024. 05:38 Min.. Verfügbar bis 26.02.2026. WDR. Von Lutz Polanz.
Lungenheilklinik Aprath: Missbrauch statt Heilung für Kinder
Stand: 26.02.2024, 10:53 Uhr
Körperliche und seelische Gewalt: In der Lungenheilklinik Wülfrath-Aprath wurden in den 1950er und 60er Jahren offenbar junge Patienten für medizinische Versuche missbraucht. Am Montag sind Betroffene zurückgekehrt.
Von Lutz Polanz
Ortsbesichtigung auf dem Gelände der alten Lungenheilklinik Aprath: Die Menschen, die sich an diesem Montag hier umschauen, kehren an einen Ort zurück, an den viele von ihnen traumatische Erinnerungen haben. Als Kinder waren sie hier, um gegen Tuberkulose behandelt zu werden.
Aber sie erlebten Misshandlung, Demütigung und Schlimmeres, erzählen sie. Die Missstände hat ein Forschungsprojekt zur Verschickung von Kindern in Jugend- und Erholungsheime an den Tag gebracht. Und das Projekt, das vom Land NRW unterstützt wird, hat Betroffene hier zusammengeführt. Für viele ist das eine Erleichterung. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten fühlen sie sich nicht allein, können endlich über die Dinge reden, die ihnen hier zugestoßen sind.
Seit 2002 ist die alte Lungenheilklinik in Wülfrath-Aprath endgültig außer Betrieb. Einst galt sie als Vorzeigeanstalt, um kranke Kinder und Jugendliche wieder gesund zu pflegen. Aktuellen Forschungen zufolge wurden die jungen Patienten in den 1950er und 60er Jahren als medizinische Versuchspersonen missbraucht. Außerdem berichten die Betroffenen von körperlicher und seelischer Gewalt.
Isolation für 4-Jährige
Kinderheilstätte Wülfrath-Aprath
Eine von ihnen ist Claudia Förster. Ihr Leben lang kämpft die heute 67-Jährige mit Depressionen. Sie ist sich sicher, dass diese hier ihren Ausgangspunkt haben. Als 4-Jährige wurde sie 1960 vom Hausarzt nach Aprath geschickt. Ansteckend war sie nicht, doch nach der Eingangsuntersuchung kam der Schock, erzählt sie: "Ich wurde in mein Zimmer geführt und war danach während meines Aufenthalts, der insgesamt dreieinhalb Monate dauerte, drei Monate lang völlig isoliert. Ich hatte ein großes Zimmer, in dem sich nur ein Gitterbett, ein kleiner Tisch und zwei kleine Stühle befanden. Es gab keinerlei Spielsachen dort. Und in diesem Raum war ich die ganze Zeit völlig alleine."
Es wird gegessen, was auf den Teller kommt
Auch Gudrun Stratmann kämpft mit ihren Erinnerungen. Sie war 1958 in der Klinik Aprath. Bei der Einschulungsuntersuchung hatte man einen Lungenschaden festgestellt. Wie viele Kinder damals war sie mager.
Sie sollte möglichst schnell an Gewicht zulegen, und alles essen, was man ihr vorsetzte: "Wir haben früher Stinkkäse gesagt, also Harzer Roller, oder so was. Und ich konnte den nicht essen: Ich wurde aber mehr oder weniger dazu gezwungen und habe dann auch erbrochen und musste dann sehen, dass ich dieses Erbrochene vom Fußboden wegmache. Ich weiß noch von anderen, die erbrochen haben, dass dieses Erbrochene wieder aufgegessen werden musste." Sie habe sich ohnmächtig, einsam und ausgeliefert gefühlt.
Lange Zeit eine Musterklinik
In den 1950er und 60er Jahren galt die Lungenheilstätte Aprath als eine Vorzeigeanstalt bei der Behandlung der Tuberkulose. Damals war die gefährliche Krankheit in Deutschland noch allgegenwärtig, auch viele Kinder waren infiziert. Zur Gesundung setzte die Aprather Klinik auf Liegekuren. Damals ein gängiges Mittel, um sich von der Tuberkulose zu erholen.
Lungenheilklinik seit 2002 geschlossen
Jeden Morgen, jeden Nachmittag, Stunden lang still liegen. Und vorweg gab es Medikamente, erinnert sich Gudrun Stratmann: "Wenn wir uns aufgestellt haben, um in den Frühstücksraum zu kommen, haben wir Medikamente bekommen, als Tablette oder in flüssiger Form. Von da sind wir zum Frühstück und dann auf die Liegebalkone in die Liegekur, und waren einfach ruhig und friedlich. Ich denke schon, dass das mit meinen Erfahrungen heute, dass das mit Medikamenten oder Sedierung zu tun hatte."
Kinder als Versuchspersonen
Wurden in Aprath kleine Kinder mit Medikamenten ruhig gestellt, um Stunden lang still zu liegen? Beweisen lässt sich das nicht mehr. Wichtige Unterlagen wie Patientenakten fehlen. Doch andere Dokumente zeigen, dass in der Klinik Wirkstoffe getestet wurden, die noch gar nicht zugelassen waren, etwa Thalidomid, besser bekannt unter dem Namen Contergan. Angefordert vom Chefarzt der Klinik.
Der damalige Hersteller, die Firma Grünenthal, bestätigt die Lieferungen: "Wir bedauern zutiefst, dass unser Unternehmen in den 1950er und 60er Jahren Medikamententests in dieser Art durchgeführt hat. Die Methoden, die seinerzeit zur Überprüfung von Medikamenten an Kindern angewandt wurden, sind aus heutiger Sicht nicht nachvollziehbar.“
Und die Eltern wussten nichts
Auch andere Wirkstoffe wurden an den Kindern getestet, etwa Kombinationen aus Streptomycin und Pantothensäure zur Tuberkulose-Behandlung, berichtet die Pharmazeutin Dr. Sylvia Wagner von der Uniklinik Düsseldorf. Sie hat sich intensiv mit Medikamentests an Heimkindern beschäftigt: "Tests wie in Aprath, wurden damals vielfach als normal betrachtet“.
Gerade bei schweren Krankheiten wie der Tuberkulose habe man intensiv nach neuen Medikamenten geforscht. Ethisch bedenklich sei aber gewesen, wenn nicht einmal die Eltern darüber informiert wurden. Doch genau das soll in Aprath der Fall gewesen sein, sagen ehemalige Patientinnen wie Claudia Förster: "Diese Ungewissheit, dort mit Medikamenten womöglich vollgepumpt worden zu sein, ist einfach unglaublich. Da haben andere über meinen Körper bestimmt und noch nicht einmal meine Eltern wurden aufgeklärt."
Unsere Quellen:
- Carmen Behrendt, M.A, Verschickungsheime im Raum Wuppertal Citizen-Science-Projekt-Kinderverschickungen-NRW (www.kinderverschickungen –nrw.de)
- Eigene Recherchen
- Grünenthal GmbH
Über dieses Thema berichten wir am Montag, 26.02.2024, im Hörfunk und Fernsehen: Lokalzeit Bergisches Land.