Trauma Verschickungsheim: Filmteam will in Detmold drehen

Stand: 23.08.2023, 11:27 Uhr

Das frühere Kinderkurheim Johannaberg in Berlebeck soll Gegenstand einer Filmdoku werden. Ein Filmteam sucht dafür Zeitzeugen, die über Misshandlungen und Gewalt im Heim berichten.

Annette Alfermann war fünf Jahre alt, als sie nach einer Herz-OP zur Kur nach Detmold geschickt wurde. Das Mädchen sollte wieder lebhafter werden - doch das Gegenteil war der Fall: Eingeschüchtert und noch ruhiger kam sie nach Wochen aus dem Kinderkurheim zurück.

"Aufessen müssen, auch wenn es nicht geschmeckt hat, bis einem fast übel war. Oder auch dieses Redeverbot, das war für mich schlimm", sagt Annette Halfermann. Was von der Kur blieb, sind traumatische Erinnerungen, die sie bis heute immer wieder begleiten.

Toilettenverbot, Isolation, Gewalt

Millionen westdeutscher Kinder sind bis in die 90er in Hunderte Heime verschickt worden. Die Erziehungsmethoden stammten in vielen Heimen zum Teil noch aus der Zeit des Nationalsozialismus.

Eines solcher Heime war das Kinderkurheim Johannaberg in Berlebeck am Rande des Teutoburger Waldes – betrieben wurde es bis zur Schließung 1973 vom Deutschen Roten Kreuz.

"Wir wissen schon, dass es im Kinderkurheim Johannaberg zu starken Formen von schwarzer Pädagogik gekommen ist", sagt Filmemacher Silas Degen. "Es herrschte nachts Toilettenverbot, Kinder wurden isoliert als Strafe, bis hin zu körperlicher Gewalt."

Doku soll Betroffenen helfen

In einer Doku will Degen greifbar machen, was Kinder hier zwischen den 50er und 70er Jahren erlebt haben. Ehemaligen Verschickungskindern solle das helfen, die Erlebnisse ihrer Kindheit zu verarbeiten.

"In ‚Heimgesucht‘ begleiten wir eine Reise von Verschickungskindern, die sich Jahrzehnte später auf den Weg zurück machen, in das Kurheim, wo ihnen damals schlimme Dinge passiert sind", so Degen. Viele Verschickungskinder würden sich wünschen, an den Ort des Geschehens zurückzukehren, um mit dem Erlebten abschließen zu können.

Betroffene: "Erlebnisse verlieren Schrecken"

Annette Alfermann hat sich entschieden, an der Doku mitzuwirken: "Ich habe überlegt, ob es mir gut tut oder nicht", sagt sie, "aber ich habe gemerkt, dass es mir besser geht, wenn ich mich damit beschäftige". Die Erlebnisse würden dann nach und nach ihren Schrecken verlieren.

So hofft Annette Alfermann, dass beim Betreten des ehemaligen Kinderkurheims während der Dreharbeiten "ein paar konkrete Erinnerungen hochkommen, wenn man die einzelnen Räume sieht".

Filmemacher: "Wir wollen niemanden anprangern"

Annette Alfermann wünscht sich, dass das Thema "Verschickungskinder" mehr Aufmerksamkeit bekommt: „Es ist an der Öffentlichkeit, aber es muss noch viel mehr an die Öffentlichkeit“, sagt sie.

Filmemacher Silas Degen sucht nun nach weiteren Menschen, die an der Doku mitwirken wollen. Neben ehemaligen Verschickungskindern wünscht er sich auch Heimpersonal von damals. Auch dessen Perspektive sei sehr wertvoll. "Wir wollen niemanden anprangern", betont er.