Polizisten führen bei einer Razzia im Clanmilieu in Solingen einen Verdächtigen ab.

Clankriminalität: Rund 20 Prozent mehr Straftaten in NRW in 2022

Stand: 22.08.2023, 15:58 Uhr

In NRW wurden Straftaten mit Bezug zu kriminellen Clans im vergangenen Jahr häufiger regisitriert. Innenminister Herbert Reul (CDU) will seine politische Linie fortsetzen.

Die nordrhein-westfälische Polizei hat im vergangenen Jahr rund 20 Prozent mehr Straftaten mit Clanbezug als 2021 gezählt. Das geht aus dem neuen Lagebild Clankriminalität des Landeskriminalamts (LKA) hervor, das am Dienstag ohne größere Ankündigung veröffentlicht wurde. Auch im Vergleich mit dem Vor-Corona-Jahr 2019 zeigt sich eine deutliche Zunahme der Clankriminalität (plus rund acht Prozent).

Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte im Februar bereits einräumen müssen, dass 2022 die die Zahl der Straftaten insgesamt - also über alle Arten der Kriminalität betrachtet - um fast 14 Prozent angestiegen ist. Der Kampf gegen Clankriminalität ist seit Jahren ein erklärter Schwerpunkt des Innenministers.

6.573 Straftaten mit Clanbezug

Für das Jahr 2022 wurden laut der neuen Auswertung insgesamt 6.573 Straftaten mit Clanbezug in NRW festgestellt. Zum Vergleich: Die Zahl aller Straftaten, die im Jahr 2022 in Nordrhein-Westfalen erfasst wurden, beläuft sich auf 1.366.601. Der Anteil der Taten mit Clanbezug beträgt somit knapp 0,5 Prozent.

Clan-Kriminalität im Ruhrgebiet

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Mehr als 4.000 Verdächtige

Laut LKA gab es vergangenes Jahr 4.035 Verdächtigte mit Clanbezug. Im Vergleich zum Vorjahr stieg damit auch die Zahl der mutmaßlichen Täter um rund elf Prozent.

Die Verdächtigen sind laut Lagebild ganz überwiegend männlich (81 Prozent) und meistens zwischen 26 und 30 Jahre alt. Im Jahr 2022 hatten laut LKA 53 Prozent der Tatverdächtigen die deutsche Staatsangehörigkeit, 17 Prozent die syrische, 14 Prozent die libanesische.

SPD: Regierung scheint "die Kontrolle zu verlieren"

Christina Kampmann

Christina Kampmann (SPD)

Angesichts der deutlich gestiegenen Zahlen bei der Clankriminalität im Speziellen sowie bei den Straftaten insgesamt konstatierte die oppositionelle SPD am Dienstag: "Innenminister Reul läuft der Lage immer mehr hinterher." So formulierte es Christina Kampmann, innenpolitische Sprecherin der Fraktion. "Nach sechs Jahren Regierungszeit scheint die CDU-geführte Landesregierung offenbar die Kontrolle zu verlieren", so Kampmann weiter. "Um der Lage Herr zu werden, reicht die sogenannte Strategie der Nadelstiche schon lange nicht mehr. Sie führt allenfalls dazu, dass die kleinen Handlanger belangt werden, die eigentlichen Köpfe der Clans aber ungestraft weitermachen können", sagte sie.

Reul: Kampf gegen kriminelle Clans ist "Dauerlauf"

NRW-Innenminister Herbert Reul

Herbert Reul (CDU)

Innenminister Herbert Reul (CDU) dagegen verteidigte sein Vorgehen. "Niemand läuft einen Marathon in einer Stunde. Unseren Dauerlauf im Kampf gegen Clankriminelle setzen wir fort, die Kondition dafür haben wir", sagte er. Für ihn gelte weiterhin "null Toleranz - heute wie morgen", so Reul. Mit Bezug auf die jüngsten Auseinandersetzungen im Ruhrgebiet, bei denen ein sogenannter Friedensrichter vermittelt haben soll, sagte der Innenminister: "Das Recht der Familie gilt bei uns nicht. Und Friedensrichter sind Erfindungen, die hier in Nordrhein-Westfalen sicher nicht patentiert werden. Das Gewaltmonopol des Staates ist nicht verhandelbar - egal wer sich da in die Haare kriegt."

Grüner Koalitionspartner hadert mit Statistik

Dass es überhaupt ein neues Lagebild gibt (das erste veröffentlichte das LKA 2019), ist nicht selbstverständlich: Reuls grüner Koalitionspartner hadert mit der Statistik, für die Polizeisysteme nach möglichen Clan-Namen durchforstet werden.

Justizminister Benjamin Limbach im Sommerinterview

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Erst im Dezember hatten die Grünen angekündigt, eine neue Definition für dieses Kriminalitätsfeld erarbeiten zu wollen. Diese neue Definition solle sich einzig auf kriminelle Strukturen beziehen, "ohne Menschen pauschal zu verurteilen und unter Generalverdacht zu stellen", sagte die innenpolitische Sprecherin Julia Höller damals. Auch der grüne Justizminister Benjamin Limbach befürwortet eine Neudefinition - CDU-Innenminister Reul ist jedoch strikt dagegen.

Auswertung nach Familiennamen

"Das Lagebild Clankriminalität NRW 2022 bildet die polizeilich erfassten Straftaten aus dem Jahr 2022 ab, begangen von Tatverdächtigen mit einem von den Ermittlungsbehörden als clanrelevant definierten Familiennamen", heißt es in der Einleitung des Lagebilds. Das LKA hat für seine "namensbasierte Recherche" im aktuellen Lagebild 116 Clan-Namen identifiziert (2021: 113). Die Ermittler ergänzen ausdrücklich, "dass nicht alle Personen mit einem entsprechenden Familiennamen kriminell sind."

Das aktuelle Lagebild fokussiert sich auf türkisch-arabischstämmige Großfamilien. Nach Massenschlägereien im Ruhrgebiet hatte Innenminister Reul vor wenigen Wochen angekündigt, dass man auch syrische Familien ins Visier nehmen müsse.

Rohheitsdelikte auf Platz eins

Rohheitsdelikte wie z.B. Raub oder Körperverletzung sowie Straftaten gegen die persönliche Freiheit machen nach Angaben des LKA 31 Prozent aller Taten aus. 15 Prozent waren Vermögens- und Fälschungsdelikte, rund 15 Prozent Diebstähle. Die Statistik zählt auch 24 "Straftaten gegen das Leben", darunter Mord und Totschlag - wobei Versuche mit dazu zählen. Wie viele Tote es tatsächlich gab, geht aus dem Papier nicht hervor.

Ruhrgebiet ist Schwerpunkt

"Essen lässt sich in diesem Berichtsjahr als Stadt mit den meisten Straftaten (11 Prozent) sowie Tatverdächtigen (12 Prozent) herausstellen und verzeichnet im Vergleich zum Vorjahr den größten Anstieg der Straftaten", heißt es im Lagebild. Eine NRW-Karte in dem Papier zeigt, dass das Ruhrgebiet ein sogenannter Hotspot ist.

Mehr als 600 Razzien

Die Polizei hat laut LKA bei 615 Razzien über 1.570 Objekte kontrolliert, darunter mehr als 220 Shisha-Bars, 60 Restaurants, 30 Spielhallen und 90 Wettbüros: "23 Prozent der Objekte wurden unmittelbar durch die Behörden geschlossen, unter anderem wegen fehlender Konzessionen, aufgrund von Hygienemängeln oder wegen baurechtlicher Mängel", heißt es im Bericht.