Diskussionsbedarf: Syrer und Libanesen im Ruhrgebiet nach Massenschlägereien
Stand: 23.06.2023, 18:17 Uhr
Nach den aktuellen Massenschlägereien unter verfeindeten Clans in Castrop-Rauxel und Essen wird die Kritik auch unter Syrern und Libanesen immer lauter. Sie fordern härtere Strafen, denn solche Gewaltszenen schädigen das Ansehen aller Migranten im Ruhrgebiet, meinen sie.
Von Solveig Bader
Mohamad Al Masri hat Freunde aus dem Libanon und Syrien zusammengetrommelt. Sie sitzen im Café seines Bruders in Essen zusammen, um die jüngsten Clan-Auseinandersetzungen aufzuarbeiten. Al Masri hat ein kleines Dolmetscherbüro in der nördlichen Innenstadt. 1991 ist er mit seiner Familie aus dem Libanon ins Ruhrgebiet eingewandert. Heute engagiert er sich im Essener Integrationsrat für ein friedliches Miteinander.
Machtkampf eskaliert zwischen libanesischen und syrischen Clans
"Was auf der Straße abgelaufen ist, das ist katastrophal. Es hat eine negative Wirkung auf alle ausländischen Mitbürger", sagt Al Masri. Auch sein syrischer Freund Shadi Azzam verurteilt die Vorfälle und sagt: "Ich finde das sehr schade, dass wieder Massenschlägereien unter verfeindeten Clans für Unruhe sorgen. Ich habe mich immer für ein gutes, friedliches Zusammenleben aller Essener engagiert, egal, woher sie kommen."
Sie sind entsetzt und wütend zugleich. Es gehe um Macht, Geld, Drogen, Geldwäsche, Diebstahl, Schutzgeld, Zuhälterei. Geschäfte, die alteingesessene Libanesen in ihrer Hand gehabt hätten, wollten nun die Syrer übernehmen, heißt es.
Hass hat komplexe Gründe
Mittlerweile leben fast 16.000 Syrer in Essen und knapp 10.000 Libanesen. "Dieser Aufmarsch der Libanesen durch die Essener Innenstadt hat einen symbolischen Charakter, der eine Machtdemonstration in die syrische Community vermitteln soll. Die Libanesen wollen die Oberhand behalten und verteidigen nun ihre Reviere und Geschäfte", sagt Ahmad A. Omeirate, Islamwissenschaftler und Clan-Experte aus Berlin.
Die Gründe seien vielschichtig. Viele Libanesen fühlten sich ungleich behandelt von der Politik. Die Syrer hätten eine positive Willkommenskultur im Ruhrgebiet erlebt, im Gegensatz zu den Libanesen, die zum Teil seit 30 Jahren nur geduldet werden. Auch die Besatzung syrischer Truppen im Libanonkrieg sei ein Grund für Aversionen.
Forderung nach härteren Strafen
Viele Leute aus der syrischen und libanesischen Community in Essen verurteilen die jüngsten Vorfälle. Alle hätten sich an deutsches Recht zu halten, Straftaten dürften nicht unter Clan-Oberhäuptern in Selbstjustiz geregelt werden. Sie fordern härtere Strafen. Die Gesetze hier seien zu lasch, schreckten nicht ab. "Es handelt sich um ein Pulverfass", sagt Clan-Experte Omeirate.
"In Essen haben sogenannte Friedensrichter für Ruhe gesorgt. Aber das heißt noch lange nicht, dass dieser Konflikt aus der Welt geschaffen ist. Es braucht nur ein kleiner Funke, der das Ganze wieder lostreten kann"", sagt Omeirate. Die Syrer, Libanesinnen und Libanesen im Essener Café haben nun beschlossen, sich für einen Runden Tisch einzusetzen. Sie wollen mit allen Parteien, Stadt und Polizei nach Lösungen für mehr Frieden suchen.