"The Joy of Sex" zeigt 1972 erstmals, was die Spießbürgerlichen bis dahin nur aus dem Kamasutra kannten oder aus den Kommunen der Hippies: Sex sei nicht Fortpflanzung, sondern Freude, Genuss und Freiheit, schreibt der britische Arzt und Gerontologe Alex Comfort und liefert 84 äußerst explizite Zeichnungen verschiedener Liebesübungen mit. Comfort erklärt alles, von Achselhöhle bis X-Stellung, von Bidet bis Zungenbad, von Cache Sex bis Wet Look. Er versteht seinen "Gourmet Guide to Lovemaking" als Aufforderung, miteinander über sexuelle Bedürfnisse zu sprechen, sich zu trauen und sich auszuprobieren. Nur Homosexualität blendet er aus, zu heikel ist das Thema noch in den 1970er-Jahren.
Sein Weltbestseller steht fortan zwischen den Bildbänden in bürgerlichen Massivholzbücherschränken und in den öffentlichen Bibliotheken. Bis heute wurde das Buch mehr als zwölf Millionen Mal verkauft und verschwand nach seinem Erscheinen mehr als zehn Jahre lang nicht von der Bestsellerliste der New York Times. Seitdem heißt Alex Comfort Dr. Sex, was ihn ärgert. "Vergessen Sie nicht, dass Sex nicht meine Hauptbeschäftigung ist", sagte Comfort wenige Jahre vor seinem Tod im Jahr 2000. Sein Hauptthema, über das der Universalgelehrte über Jahrzehnte rund 50 Bücher verfasst hat, ist das Altern.
Vater der Gerontologie
Geboren wird Alex Comfort am 10. Februar 1920 in London. Als begabtes Kind wird er mit Stipendien gefördert, schreibt mit 16 Jahren sein erstes Buch, einen Reisebericht. Er studiert Medizin am Trinity College in Cambridge, veröffentlich Gedichte und Romane. In jedem seiner Texte wird deutlich, dass Comfort ein vehementer Friedenskämpfer ist - auch als deutsche Bomber britische Städte angreifen und Premierminister Winston Churchill Gegenschläge anordnet.
Seine Energie als Wissenschaftler und Aktivist scheint unbändig. Er begibt sich auf den ersten Ostermarsch der Geschichte, 1958 von London zum 83 Kilometer entfernten Atomforschungszentrum Aldermaston. Er beteiligt sich an erlaubten und verbotenen 'sit-down'-Demonstrationen in London und geht dafür ins Gefängnis. Er schreibt Protestlieder, der Folkmusiker Pete Seeger vertont eines davon. Nebenbei schließt er sein Medizinstudium ab, studiert zusätzlich Biochemie, arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter und dann als Forschungsstipendiat zur Biologie des Alterns. Bis heute gilt er als Vater der Gerontologie in Großbritannien.
Sexuelle Befreiung als Weg zu mehr Menschlichkeit
Seit den 1950er-Jahren veröffentlich Comfort für einen kleinen Kreis seine Schriften zur menschlichen Sexualität. Darin geht es um die Frage, die sein ganzes Leben durchzieht: Warum verlieren Gesellschaften ihre Menschlichkeit? Unterdrückte Sexualität sieht er als einen Grund: Erst eine freie und befreite Sexualität mache uns menschlich und fähig zum Mitgefühl, schreibt er und veröffentlicht 1972 "Joy of Sex". Das Buch ist also auch ein poitisches Statement: "Sexuelle Freiheit und politische Tyrannei können nicht koexistieren", schreibt er in einem Aufsatz zum Thema.
Seinen Namen lässt er erst später auf den Einband von "The Joy of Sex" setzen, er fürchtet um seinen Ruf als Wissenschaftler. Zurecht: Als bekannt wird, wer der Autor ist, verwandelt sich der Gerontologe Alex Comfort in Dr. Sex. Alle wollen ihn seitdem nur noch zu diesem Thema hören und befragen. "Dieses Buch über Sex. Es ist wie ein Klotz am Bein", sagt er einmal.
Stand: 10.02.2015
Programmtipps:
Auf WDR 2 können Sie den Stichtag immer gegen 9.40 Uhr hören. Wiederholung: von Montag bis Freitag gegen 17.40 Uhr und am Samstag um 18.40 Uhr. Der Stichtag ist nach der Ausstrahlung als Podcast abrufbar.
"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.05 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 10. Februar 2015 ebenfalls an Alex Comfort. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.