Raus aus Gaza: Vater und Sohn aus Münster

Lokalzeit Münsterland 10.11.2023 02:03 Min. Verfügbar bis 10.11.2025 WDR Von Heike Zafar

"Alles so ruhig hier" - aus Gaza zurück in Münster

Stand: 13.11.2023, 18:17 Uhr

Seit Samstag sind Ahmed Abu Ergaila und sein Sohn Samir wieder zu Hause in Münster. Fast fünf Wochen lang saßen die beiden im umkämpften Gazastreifen fest. Jetzt haben sie endlich die Ausreise geschafft. Der Alltag ist bei ihnen aber noch lange nicht wieder eingekehrt.

Von Heike Zafar

Samir ist am Montag zur Schule gegangen, Ahmed hat das erste Mal wieder im Homeoffice gearbeitet. Am Sonntag hat der 53-Jährige schon seine erste kleine Radtour durch Münster gemacht, aber richtig glücklich kann er zur Zeit nicht sein.

"So sehr hier alles so schön sauber, ruhig und ungefährlich ist, umso mehr ist meine Sorge um meine Familie in Gaza", sagt er. "Der Schock über das, was ich erlebt habe, kommt jetzt erst richtig an", in seinem Kopf tauchten immer wieder die Bilder von der letzten Nacht in Gaza auf. "Voller Bomben, Schreie und Angst."

Nachbarhaus bombardiert

In der Nacht davor war das Haus der Nachbarn bombardiert worden. Sechs Menschen seien dabei gestorben, erzählt er, darunter auch Kinder, an die er traurige Erinnerungen hat: "Die Jungs saßen an der Straße und nannten uns immer die glücklichen Deutschen, die bald in Sicherheit sein werden."

Vater und Sohn waren nach Gaza gereist, um Ahmeds Mutter, Samirs Oma, zu besuchen. Dann steckten sie fest, versteckt im Süden von Gaza im Haus von Verwandten. Die Ausreise über die Grenze nach Ägypten, für die man auch zahlen müsse, schien über Wochen unmöglich zu sein. Mehrmals hatten sich die beiden auf den gefährlichen Weg zur Grenze gemacht, seien mehrfach enttäuscht zurückgekehrt.

Münsteraner aus Gaza ausgereist

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Ahmed enttäuscht von Deutschland und der Berichterstattung

"In Gaza war ich damit beschäftigt, Brot, Decken und Wasser zu besorgen - das war meine Aufgabe für den Tag, und ich hatte keine Zeit nachzudenken", sagt Ahmed. Hier müsse er den ganzen Tag nachdenken. Er ist von Deutschland und auch von der Berichterstattung über Gaza sehr enttäuscht. In seinem Umfeld im Gazastreifen habe niemand die Gräueltaten der Hamas gefeiert oder gutgeheißen.

Im Gegenteil, "die Menschen wurden von der Hamas geknechtet". Aber auch ihre Häuser seien von den Israelis bombardiert und komplett zerstört worden. "Ich habe tausende Menschen auf den Straßen gesehen, die keine Wohnung mehr haben. Kinder mit entzündeten Wunden, die ihr Leben gezeichnet sein werden von ihren Verletzungen."

Wieder einleben nicht so einfach

Ahmed lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland, arbeitet in der Sozialberatung des AStA an der Uni Münster und hat schon lange einen deutschen Pass. Er liebe die jüdische Literatur, erzählt er, er habe so viel gelesen auch über jüdische Geschichte. "Lion Feutwanger ist mein Lieblingsschriftsteller". Er liebe auch die jüdische Musik, Daniel Barenboim. "Aber wenn ich jetzt etwas gegen das Bombardement auf Gaza sage, gelte ich als Antisemit. Und das bin ich nicht."

Jetzt müssen sich Ahmed und sein Sohn wieder einleben in Münster. Was nicht einfach wird. Ahmed hat den Handykontakt zu seiner Mutter verloren. Und er hat Angst um viele weitere Familienangehörige, vor allem seine vierjährige Nichte. Sie habe bei jeder Bombe am Himmel geweint und Schutz auf seinem Schoß gesucht. "Und jetzt bin ich einfach weg."