Ein großes Gebäude aus braunem Stein steht auf einer Insel in einem Fluss

Korruptionsermittlungen in Bocholt vor Abschluss?

Stand: 24.05.2023, 17:38 Uhr

Es sind die vermutlich umfangreichsten Korruptionsermittlungen im Münsterland. Die zuständige Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität in Bielefeld hat ihre Vorwürfe jetzt den Anwälten der Beschuldigten vorgelegt.

Von Andrea Hansen, Dominik Hamers und Hartmut Vollmari

1.500 Aktenordner und 16 Terabyte beschlagnahmter Unterlagen, 22 Beschuldigte, sieben Millionen Euro mutmaßlicher Schaden. Nach gut vier Jahren ist das die vorläufige Bilanz des Falls aus Bocholt.

Im Mittelpunkt stehen dabei drei Personen, die in Bocholt gut bekannt sind: ein ehemaliger leitender Mitarbeiter der Stadt, der Ex-Geschäftsführer einer stadteigenen Tochterfirma und der Chef der Dienstleistungsfirma Stölting Service Group.

Absprachen bei Aufträgen?

Der Oberstaatsanwalt Udo Vennewald ist auf Wirtschaftskriminalität spezialisert.

Oberstaatsanwalt Vennewald leitet die Ermittlungen

Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Rechtswidrige Absprachen zwischen leitenden Mitarbeitern der Stadt und der Stölting-Geschäftsführung. Aufträge könnten ohne Ausschreibung und zum finanziellen Schaden der Stadt Bocholt vergeben worden sein.

Konkret geht es um die Bewachung von Flüchtlingsunterkünften in Bocholt von 2015 bis 2019. Laut Staatsanwaltschaft soll der leitende städtische Mitarbeiter einen Auftrag an die Tochterfirma der Stadt vermittelt haben. Die gab den Auftrag dann weiter an die Stölting Service Group.

Besondere Beziehungen in Bocholt?

Das allein wäre noch kein Problem, aber in Bocholt gab es offenbar besondere Beziehungen: Der leitende Mitarbeiter der Stadt war und ist gleichzeitig Funktionär eines Fußballvereins, den die Stölting Service Group nach eigenen Angaben von Dezember 2015 bis zum Ende der aktuellen Saison gesponsert hat.

Der Staatsanwalt geht dem Verdacht nach, dass die Auftragsvergabe an die Stölting Service Group vom Sponsoring für den Fußballclub abhängig gewesen und später durch überhöhte Rechnungen für Dienstleistungen teilweise wieder ausgeglichen worden sein soll.

Stölting-Chef Mosbacher bestreitet die Vorwürfe

Hans Mosbacher, Geschäftsführer der Stölting Service Group, weist die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft zurück. Er fühlt sich ungerecht behandelt: "Der Aufwand, der da betrieben worden ist, beispielsweise bei der Durchsuchung hier, steht in keinem Verhältnis zu dem eigentlichen Vorwurf."

Hans Mosbacher ist der Geschäftsführer der Stölting Service Group.

Für Hans Mosbacher gehört Sponsoring zum Geschäftsmodell

Mosbacher beschreibt Sport-Sponsoring an Niederlassungsstandorten als Teil seines Geschäftsmodells. Nach eigenen Angaben sponsert seine Firma rund 30 Vereine: "Natürlich ist unser Ziel, durch den Bekanntheitsgrad auch Vertriebskontakte zu bekommen und durch unseren Vertrieb letztendlich Aufträge zu generieren." Das sei ein "ganz normaler Vorgang".

Der ehemalige leitende städtische Mitarbeiter hat sich auf WDR-Anfrage nicht geäußert.

Sieben Millionen Euro umgeleitet?

Geldsscheine

Geld aus der Stadtkasse soll umgeleitet worden sein

Ihm wirft die Staatsanwaltschaft aber noch mehr vor. Er soll zusammen mit dem Ex-Chef der städtischen Tochter zusammen sieben Millionen Euro aus der Stadtkasse auf die Konten der Tochterfirma umgeleitet haben, für vermeintliche Kosten der Flüchtlingsbetreuung.

Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Dieses Handeln habe den Zweck verfolgt, das Geld der Kontrolle des Stadtrates zu entziehen, um es für eigene Belange verwenden zu können. Dabei gehe es um Belange des Unternehmens, Anhaltspunkte für eine persönliche Bereicherung lägen gegenwärtig nicht vor.

Der Ex-Geschäftsführer der städtischen Tochterfirma lässt durch seine Anwältin mitteilen, dass der Vorwurf der Staatsanwaltschaft nicht nachvollzogen werden könne. Sie gehe davon aus, dass sich die Vorwürfe gegen ihren Mandanten kurzfristig aufklären ließen. Der ehemalige leitende städtische Mitarbeiter wollte sich auch hierzu nicht gegenüber dem WDR äußern.

Ist das alles?

Für alle Beschuldigten gilt die Unschuldsvermutung. Die bisherigen Ergebnisse der Korruptionsermittlungen scheinen aber darauf hinzudeuten: die interne Kontrolle der Verwaltung durch die Politik hat in Bocholt offenbar nicht funktioniert. Es brauchte eine anonyme Anzeige. Nun warten viele gespannt darauf, ob und wann es eine Anklageerhebung gibt. Und was möglicherweise noch ans Tageslicht kommt.

Über dieses Thema haben wir am 13.03.2023 in der Lokalzeit Münsterland im WDR Fernsehen berichtet.