Warum sich das Virus in Schlachthöfen wohl fühlt

Stand: 24.06.2020, 06:00 Uhr

  • Zwei Drittel der Mitarbeiter in den Zerlegehallen sind infiziert
  • Virus mag die niedrigen Temperaturen
  • Virologe spricht von optimalen Bedingungen für das Virus
  • Laumann will Bedingungen in den Kühlhallen prüfen

Von Oliver Scheel

Mehr als 1.550 Mitarbeiter des Tönnies-Schlachtbetriebs in Gütersloh sind positiv auf das Coronavirus getestet worden. Schnell wurde auf die oft prekäre Wohnsituation der Billiglöhner aus Osteuropa hingewiesen, die sich mit zu vielen Kollegen viel zu kleine Wohnungen teilen.

Doch bald wurde klar: Überproportional viele der Infizierten arbeiten in den sogenannten Zerlegehallen - also den stets gekühlten Hallen, in denen das Fleisch zerteilt wird. Offenbar stellen diese Hallen einen sehr guten Nährboden für das Virus dar. Aber warum?

Abstandsgebot kaum einzuhalten

In den kalten Hallen, in denen das Fleisch zerteilt wird, arbeiten sehr viele Menschen dicht beieinander. Das Abstandsgebot ist kaum einzuhalten. Und es ist laut.

Der Lärm ist so stark, dass die Arbeiter sehr laut sprechen oder sogar schreien müssen, um sich zu verständigen. Virologe Prof. Dr. Friedemann Weber von der Justus-Liebig-Universität in Gießen sagte im Gespräch mit dem WDR, in solchen Fleischverarbeitungsbetrieben sei das Klima optimal für eine Virusübertragung: "Die Luft ist runtergekühlt, die Leute arbeiten unter Stress und nah beieinander, man schreit sich auch mal an."

Dadurch gelangen besonders viele Atemtröpfchen in die Luft. Die sich bildenden Aerosole können sich, so die derzeitige Annahme des Robert-Koch-Instituts, in geschlossenen Räumen länger in der Luft halten als im Freien. Die gekühlten Hallen sind natürlich geschlossen.

In kühlen Räumen fühlt sich das Virus wie zu Hause

Außerdem sind offenbar die niedrigen Temperaturen für die Lebensdauer der Viren von Vorteil. Untersuchungen haben gezeigt, dass das Virus in den fast auf Kühlschrank-Temperatur heruntergekühlten Hallen länger überlebt als bei höheren Temperaturen.

Virologen warnten früh vor zweiter Welle bei sinkenden Temperaturen

So schrieb das Fachblatt "Emerging Infectious Diseases", dass das Coronavirus im Sekret aus Nase und Rachen bei Temperaturen im einstelligen Bereich am längsten nachweisbar sei.

Schon früh hatten die Virologen vor einer zweiten Welle gewarnt, die kommen könnte, wenn wir uns wieder häufiger in geschlossenen Räumen aufhalten und wenn die Außentemperatur sinkt. Die Vorgänge in den Schlachthöfen scheinen diese Annahmen zu bestätigen. Wo also durch Kälte eigentlich eine Keimbelastung des Fleischs verhindert werden, fühlt sich Sars-CoV-2 wie zu Hause.

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann sagte am Dienstag (23.06.2020), er wolle den Geschehnissen in den Kühlhallen auf den Grund gehen und untersuchen lassen, ob die Zerlegehallen tatsächlich einen so großen Infektionsherd darstellen.

Virologe Weber hofft, dass das Virus in Gütersloh noch nicht großflächig verschleppt wurde. "Aus virologischer Sicht haben wir es da mit einem Superspreader-Event zu tun. Das ist ja alles immer mit Zeitverzögerung zu betrachten. Vielleicht haben die Infizierten schon viele weitere angesteckt. Da gibt es Lieferanten und Büroangestellte, es gibt also mannigfaltigen Kontakt."