Corona in Schlachtbetrieben: "Deprimierende Zustände"

Stand: 09.05.2020, 21:39 Uhr

  • Corona-Fälle in Schlachtbetrieben in Coesfeld und Oer-Erkenschwick
  • Kritik an Sammelunterkünften der meist ausländischen Arbeiter
  • Branchenführer warnt von Generalverdacht

Von Christian Wolf

Über 195 Corona-Fälle in einem Schlachtbetrieb in Coesfeld. Dutzende Infizierte in einer Schlachterei in Oer-Erkenschwick. Bundesweit soll es über 600 Fälle in Schlachthöfen geben. Die Fleischindustrie entwickelt sich zu neuen "Corona-Hotspots".

Im Moment sind die Behörden damit beschäftigt, die Mitarbeiter der Schlachthöfe zu testen. Mehrere Teams des Kreisgesundheitsamtes schwärmten am Samstag (09.05.2020) aus, um die Beschäftigten des Schlacht- und Zerlegebetriebes in ihren Unterkünften zu testen. Hunderte Tests stehen noch aus. Wer sich bei wem und wie angesteckt hat, lässt sich nur schwer sagen.

Kein Abstand in Sammelunterkünften

Dennoch deutet sich bereits an, warum es so viele Fälle in der Fleischindustrie gibt. Viele Mitarbeiter stammen aus Osteuropa und kommen zum Arbeiten nach Deutschland. Sie wohnen oftmals in Sammelunterkünften. In Kleinbussen geht es morgens zum Schlachthof und abends wieder zurück. Abstand halten ist da sehr schwierig. Ist einer der Arbeiter mit dem Coronavirus infiziert, kann sich das schnell auf andere übertragen.

Die Gewerkschaften fordern deshalb schärfere Kontrollen. Die Fleischbranche falle seit Jahren immer wieder mit miserablen Arbeitsbedingungen auf, heißt es beim DGB. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten kritisiert einen "ruinösen Preiskampf beim Fleisch". Mitarbeiter würden über Werkverträge mit oft dubiosen Subunternehmen beschäftigt und dann "rücksichtslos ausgenutzt".

Kontrollen zeigen "deprimierende" Arbeitszustände

Auch NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) weiß um die Probleme. Er kritisiert die Fleischindustrie schon länger. Erst im Herbst 2019 veröffentlichte er die Ergebnisse von Kontrollen in 30 Schlachtbetrieben. Das Ergebnis: Nur in zwei Betrieben gab es keine Verstöße. Laumann sprach von "deprimierenden" Arbeitszuständen.

Genug Hygiene in Unterkünften?

Nun greift Laumann durch. Der Betrieb in Coesfeld wird vorübergehend geschlossen. Alle etwa 20.000 Mitarbeiter von Schlachtbetrieben in NRW werden getestet. Und die Sammelunterkünfte sollen überprüft werden. Der Minister befürchtet, dass die Bedingungen dort "nicht den Hygienebedingungen einer Pandemieentwicklung entsprechen könnten".

Beschwerden aus Herkunftsländern

Hubertus Heil

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil

Inzwischen schaltet sich auch die Bundesregierung ein. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat einen Brief an die Länder geschrieben, der dem WDR vorliegt. Darin spricht er von "unhaltbaren Zustände beim betrieblichen Infektionsschutz". Es gebe sogar schon Beschwerden aus den Herkunftsländern der Arbeiter.

Branchenführer warnt vor Generalverdacht

Doch die Fleischbranche wehrt sich gegen Pauschalisierungen. Deutschlands größter Fleischverarbeiter, die Firma Tönnies aus Rheda-Wiedenbrück, warnt davor, die ganze Branche unter "Generalverdacht" zu stellen. Trotz erheblicher Sicherheitsmaßnahmen bleibe ein Restrisiko.

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