Noch diese Woche soll in Berlin über den Einbau einer bundeseinheitlichen "Notbremse" im Infektionsschutzgesetz entschieden werden. Mit der geplanten Änderung bekäme der Bund mehr Befugnisse bei Pandemievorschriften. In einem gerade veröffentlichten Brief an die Bundeskanzlerin warnt die Gesellschaft für Aerosolforschung (GAeF) allerdings eindringlich vor falschen Beschlüssen: "Wir müssen uns um die Orte kümmern, wo die mit Abstand allermeisten Infektionen passieren", heißt es darin, "und nicht unsere begrenzten Ressourcen auf die wenigen Promille der Ansteckungen im Freien verschwenden".
Es geht um die Ansteckungsgefahr durch Aerosole - Partikelwolken in der Luft, die Coronaviren von einem Menschen zum anderen transportieren. Im Freien, so die Forscher, seien Corona-Übertragungen "äußerst selten". Bereits im vergangenen Jahr habe die Aeorsolforschung klar gezeigt: Infektionen finden in Innenräumen statt.
Bisher meist "eher symbolische Maßnahmen"
"Leider werden bis heute wesentliche Erkenntnisse unserer Forschungsarbeit nicht in praktisches Handeln übersetzt", kritisieren die Forscher jetzt in dem Brief. Stattdessen würden "eher symbolische Maßnahmen" - wie die Maskenpflicht beim Joggen - erlassen, die "keinen nennenswerten Einfluss auf das Infektionsgeschehen erwarten lassen".
Treffen in Parks zu verbieten, das Rheinufer, Innenstädte und Ausflugsziele für den Publikumsverkehr abzusperren, führe dazu, dass viele Menschen mittlerweile "falsche Vorstellungen über das mit dem Virus verbundene Ansteckungspotential" hätten.
99,9 Prozent Infektionen in Innenräumen
"Vorschriften für private Treffen in Innenräumen sind natürlich rechtlich nicht möglich", sagte Christof Asbach, Präsident der Gesellschaft für Aerosolforschung, am Montag im WDR-Interview, "deshalb ist es wichtig, dass die Menschen verstehen, welches Infektionsrisiko im Innenraum lauert": Nur eine von 1.000 Infektionen fände im Außenbereich statt, 999 dagegen im Innenraum, sagt Asbach.
Auch die derzeit diskutierten Ausgangssperren sehen die Forscher kritisch, wenn dadurch "der falsche Eindruck entstehe, dass es gefährlich ist, nach draußen zu gehen". Vielmehr müsse der Fokus darauf gelenkt werden, dass es darum gehe, Kontakte im Innenraum zu vermeiden - "und zwar nicht nur abends, sondern 24 Stunden am Tag".
In dem Brief warnen Asbach und seine Kollegen: Heimliche Treffen in Innenräumen würden durch Ausgangssperren nicht verhindert. "Wenn wir die Pandemie in den Griff bekommen wollen, müssen wir die Menschen sensibilisieren, dass drinnen die Gefahr lauert" - in Wohnungen, Büros, Klassenräumen. "In der Fußgängerzone eine Maske zu tragen, um anschließend im eigenen Wohnzimmer eine Kaffeetafel ohne Maske zu veranstalten", ergebe aus Sicht der Forscher keinen Sinn.
Zum Kaffee in der Fußgängerzone treffen
Der Brief enthält außerdem praktische Hinweise, worauf sich ein geändertes Infektionsschutzgesetz beziehen müsse: Sind Treffen mehrere Menschen in Innenräumen unvermeidlich, sollten die Aufenthaltszeiten so kurz wie möglich sein und häufig gelüftet werden. Ansteckungsgefahr bestünde auch dann, wenn sich "ein Infektiöser vorher in einem schlecht belüfteten Raum aufgehalten hat". Asbach empfiehlt zudem Raumluftreiniger, besonders in Wohnheimen, Schulen oder Büros.
In großen Hallen und Räumen dagegen sei die Ansteckungsgefahr viel geringer als in kleinen Versammlungsräumen. "Wenn man also wieder Theater, Konzerte, und Gottesdienste stattfinden lassen will, sollte das in großen, gut gelüfteten Hallen stattfinden oder wenn möglich ins Freie ausgewichen werden."
"Die Kombination dieser Maßnahmen führt zum Erfolg", schreiben die Forscher zuversichtlich, die Menschen könnten so ein Stück ihrer Bewegungsfreiheit zurück erhalten. "Wer sich zum Kaffee in der Fußgängerzone trifft, muss niemanden in sein Wohnzimmer einladen."
Eine Reaktion auf den Brief aus der Politik, sagt GAeF-Chef Asbach, hätten die Wissenschaftler bislang nicht bekommen.