Großrazzia in Leiharbeiterunterkünften in Kleve
Stand: 06.11.2023, 08:00 Uhr
Das NRW-Bauministerium hat am Wochenende in großangelegten Razzien Leiharbeiterunterkünfte im deutsch-niederländischen Grenzgebiet überprüft. Dabei sind gravierende Verstöße aufgefallen. 18 Wohnungen wurden geschlossen.
Von Zübeyde Sürgit
Es ist noch dunkel, als Beamte des Bauministeriums, der Steuerfahndung, des Ordnungsamts der Stadt Kleve, sowie polnische und niederländische Arbeitsinspektoren und weitere Behörden sich vor einer Leiharbeiterunterkunft in Kleve zur Razzia versammeln. Die osteueropäischen Bewohner werden zum Teil aus den Betten geklingelt. Die ganze Woche waren sie in der niederländischen Fleisch- oder Logistikindustrie tätig.
Jetzt sitzen sie unter den Pavillons an den Bänken und Tischen, die die Feuerwehr in einer ruhigen Wohngegend in Kleve, in der sie gesammelt untergebracht sind, aufgebaut hat und beantworten Fragen zu Arbeitsverträgen, Lohn und Unterbringung.
Wuchermieten und keine Krankenversicherung
Beim Betreten der Wohnungen werden die prekären Lebensumstände der Arbeiter deutlich. In meist engen Räumen stehen einfache Pritschen zum Schlafen, Kühlschränke und Kleiderspinde aus Metall. Für diese rudimentäre Unterbringung ziehen die niederländischen Leiharbeitsfirmen den Menschen hier wöchentlich bis zu 150 Euro Miete vom Lohn ab.
Catalina Guia, Beraterin bei der gewerkschaftsnahen Organisation "Arbeit und Leben" unterhält sich mit ihnen auf rumänisch. "Mir hat ein Arbeiter erzählt, dass er keine medizinische Versorgung bekommt, obwohl ihm ein Krankenkassenbetrag vom Lohn abgezogen wird. Das Geld ist nie bei einer Krankenkasse gelandet" sagt sie.
Aufklären und Vertrauen aufbauen
Die Arbeiter kennen ihre Rechte meist nicht. Während die Behörden Informationen sammeln, versuchen Catalina Guia und Esat Mogul als Berater mit Hilfe von polnischen und rumänischen Dolmetschern und Beamten Vertrauen aufzubauen und die Menschen über ihre Rechte zu informieren. "Dabei ist es wichtig, dass die Betroffenen verstehen, dass wir nicht sie kontrollieren, sondern ihre Arbeitgeber", sagt Catalina Guia.
Sichtbarkeit und Hilfe
Für Esat Mogul ist es heute wichtig, Kontakte zur polnischen Arbeitsinspektion aufzubauen. Denn kürzlich hat er von einem polnischen Paar erfahren, das in Deutschland schwer misshandelt und ausgebeutet worden sein soll. Sie sollen in den Niederlanden gearbeitet und in Kleve gewohnt haben. Als es Konflikte um die Unterbringung und Miete gegeben habe, sei der Mann zusammengeschlagen und beraubt worden. Jetzt befände er sich schwerverletzt und hoch verschuldet in Polen. Der gewerkschaftsnahe Träger "Arbeit und Leben" für den Esat Mogul tätig ist, versucht diese Fälle sichtbar zu machen und den Menschen zu helfen. Viele Betroffene seien aber eingeschüchtert und flüchten lieber zurück in ihre Heimatländer als Straftaten hier anzuzeigen, berichtet Esat Mogul.
Am 4. und 5. November 2023 sind 18 Unterkünfte in Kleve und Kranenburg kontrolliert worden. Die Behörden haben dabei offene Stromleitungen, nicht isolierte Stromverteiler, fehlende Brandmelder und Feuerlöscher, sowie defekte Sanitäranlagen und Heizungen angetroffen. 17 Wohnungen wurden geschlossen. Im Nachgang wird von der Steuerfahndung geprüft, inwiefern die Mieteinnahmen versteuert wurden. Die niederländischen Behörden wollen zusätzlich Verstöße gegen den Mindestlohn, die Arbeitszeiten und den Kündigungsschutz ahnden. Aufgrund der Zusammenarbeit mit der European Labour Authority konnten die Behörden den polnischen und rumänischen Arbeitsschutz in die Aktion einbinden. Es sollen weitere Aktionen folgen.