Rezepte von der Straße: Kalender mit Lieblingsgerichten von bodo-Verkäufern
Stand: 27.11.2023, 12:10 Uhr
In Dortmund und Bochum gibt es in diesen Tagen einen besonderen Kalender zu kaufen: "Streetfood 2024" enthält Rezepte, die wirklich von der Straße stammen - nämlich von Obdachlosen.
Von Katja Latsch
Moussaka – das ist für viele einfach dieser griechische Auflauf, mit Kartoffeln, Auberginen, Hack. Für Stratos ist es viel mehr: Heimat. Und Liebe. "Ich muss dann immer an meine Oma denken. Eine ganz Liebe war das, und ich war ihr Lieblingsenkel." Von Stratos griechischer Oma stammt das Rezept, das er zum Kalender "Streetfood" beigesteuert hat.
Erinnerungen an ein ganz normales Leben
Stratos, 55 Jahre alt, blaue Augen, graue Locken und Bart, lebt seit vielen Jahren auf der Straße. Dabei hatte er mal "ein ganz normales Leben", hat eine Ausbildung in der Gastronomie gemacht und viele Jahre gearbeitet. Bis er 2014 den Job verlor und für zwei Jahre ins Ausland ging. Nach seiner Rückkehr fand er zwar eine neue Arbeit, aber es gab Ärger mit dem Chef. "Ich hab´ auch Fehler gemacht", sagt Stratos rückblickend.
Er schmiss den Job – und erfuhr erst danach beim Jobcenter, dass ihm als griechischem Staatsbürger, der nicht ununterbrochen in Deutschland gelebt hat, keine Hilfe vom deutschen Staat zusteht. Irgendwann war die Wohnung futsch. Er konnte die Miete nicht mehr zahlen.
Internationale Rezepte
Seitdem sichert der Verkauf der Obdachlosen-Zeitschrift "bodo" seinen Lebensunterhalt. Von der 2,50 Euro Verkaufserlös darf er die Hälfte behalten. Stratos hat Glück. Er hat viele Stammkunden, die zu seinem Platz am Alten Markt in Dortmund kommen. Viele runden auf. Und jetzt ist da ja noch der Kalender, für 3,50 Euro. "Da sind lauter internationale Rezepte drin", erklärt Stratos im Verkaufsgespräch. Und, jedes Mal: "Ich bin der April!" Man hört den Stolz in seiner Stimme.
"Essen kochen ist Luxus"
Gemeinsamer bodo-Koch-Nachmittag
Dabei ist das Projekt eher zufällig entstanden: Bei einem Koch-Nachmittag, den das Team von "bodo" im September bei einem der Treffs für Obdachlose angeboten hat. "Uns war aufgefallen, dass Essen irgendwie ein Riesenthema ist", sagt Bastian Pütter, Chefredakteur von "bodo". "Und das bei Leuten, die gar keine Küche zur Verfügung haben."
Vielleicht gerade bei ihnen: Für Stratos jedenfalls ist Kochen – wie so vieles, was nicht mehr selbstverständlich ist in seinem Leben – "Luxus: Einfach einkaufen zu gehen und sich das Essen zubereiten, auf das man gerade Lust hat – das ist doch wunderbar!"
Zu jedem Rezept eine Geschichte
Das Moussaka-Rezept von Stratos Oma
Vielen seiner Kolleginnen und Kolleginnen scheint es genauso zu gehen. Die Käsespätzle aus Schwaben, gefüllte Weinblätter aus Rumänien, die Erbsensuppe aus dem Ruhrpott: Die Rezepte im Kalender sind viel mehr als nur Sattmacher – jeder der Köchinnen und Köche hat zum Lieblingsessen eine Geschichte zu erzählen. Sie sind, zusammen mit schwarz-weiß-Portraits der Verfasser, neben den Rezepten abgedruckt.
Das kommt an bei den Menschen, die über den Dortmunder Weihnachtsmarkt schlendern. Der Markt beschert ihm immer besonders gute Geschäfte, sagt Stratos. "Muss er aber auch, denn Januar und Februar sind immer ganz mau." Um das Weihnachtsgeschäft mitzunehmen, ist er hier von morgens zehn bis abends zehn auf den Beinen. Mit einer zweistündigen Pause, die er in den Lokalen am alten Markt verbringt.
Der Traum von der eigenen Wohnung
"Die Gastronomen kennen mich, im Sommer helfe ich ihnen beim Aufbau ihrer Terrasse", sagt Stratos. "Dafür nehmen die kein Geld für einen Kaffee oder auch mal ein warmes Essen, das ist echt nett."
bodo-Verkäufer Stratos im Verkaufsgespräch
Und für Stratos ein Segen, denn so kann er jeden Cent beiseite legen, um sich seinen Traum zu erfüllen: weg von der Straße, wo er schon zweimal überfallen und ausgeraubt wurde, in eine eigene kleine Wohnung. Die hatte er sogar zwischenzeitlich schon, bis ihm im Corona-Lockdown die Einnahmen wegbrachen.
Moussaka von der Oma
Im neuen Jahr wird es klappen, da ist Stratos zuversichtlich. Denn dann steht ihm nach einer Gesetzes-Änderung nun doch Bürgergeld zu. Dann hätte er auch eine Krankenversicherung. "Dann kann ich mir die Zähne machen lassen und wieder in meinem alten Beruf arbeiten." Und dann nicht nur da, sondern auch zu Hause: endlich wieder kochen. Was als Erstes? Er strahlt. "Moussaka natürlich!"
Über dieses Thema berichtet der WDR am 29.11.2023 auch im Fernsehen in der WDR Lokalzeit aus Dortmund und im Radio auf WDR 2.