Vor dem Prozess: Mouhamed Dramés Bruder zu Besuch in Dortmund
WDR aktuell. 19.12.2023. Verfügbar bis 19.12.2025. WDR. Von Catherine Jaspard.
Tödlicher Einsatz in Dortmund
Tod von Mouhamed Dramé: Prozess gegen Polizisten startet
Stand: 19.12.2023, 13:59 Uhr
Heute beginnt vor dem Dortmunder Landgericht der Prozess gegen fünf Polizistinnen und Polizisten. Sie waren an dem Einsatz beteiligt, bei dem der 16-jährige Mouhamed Dramé erschossen wurde.
Von David Peters
Der Fall sorgt seit August 2022 bundesweit für Aufsehen. Dementsprechend wird auch der Prozess vor dem Dortmunder Landgericht mit Spannung erwartet. 100 Zuschauerplätze sollen in dem Saal des Landgerichts der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Fast die Hälfte davon wird durch Journalisten besetzt.
Bisher sind elf Verhandlungstage bis in den April 2024 angesetzt. Verhandlungstage, an denen das Gericht klären muss, warum dieser Polizeieinsatz im August 2022 so eskaliert ist und der 16-jährige Mouhamed Dramé durch Schüsse aus einer Maschinenpistole der Polizei getötet wurde.
Polizist wegen Totschlags angeklagt
Die Polizeiwache Nord in Dortmund
Angeklagt sind fünf Polizistinnen und Polizisten. Der 30-jährige Schütze, der 55-jährige Einsatzleiter, sowie eine 29-jährige und eine 34-jährige Polizistin und ein ebenfalls 34-jähriger Polizist, die an dem Einsatz beteiligt waren.
Dem Schützen wird in der Anklage Totschlag vorgeworfen. Den anderen vier Beamten wird gefährliche Körperverletzung und im Falle des Einsatzleiters die Anstiftung dazu vorgeworfen. Alle Beamten waren an der Dortmunder Wache Nord eingesetzt.
Der 8. August 2022
Ursache des Prozesses ist das, was sich am 8. August 2022 in einem Hinterhof einer Jugendeinrichtung in der Dortmunder Nordstadt abspielte. Dort saß an dem Tag der 16-jährige Mouhamed Dramé an einer Wand. In der Hand hielt er ein Messer. Er war aus dem Senegal nach Deutschland geflohen und befand sich an diesem Montag in einer psychischen Ausnahmesituation. Möglicherweise wollte er sich mit dem Messer selbst verletzen. Die Betreuer der Einrichtung riefen die Polizei.
Die eintreffenden Polizeikräfte sollen Mouhamed Dramé versucht haben anzusprechen - ohne Reaktion. Daraufhin wurde gegen Dramé ein Reizstoffsprühgerät - umgangsprachlich Pfefferspray - eingesetzt. Dann eskaliert der Einsatz. Als Reaktion auf das Pfefferspray soll der 16-Jährige aufgestanden sein und sich in die einzig mögliche Richtung bewegt haben. In Richtung der Polizisten.
Fünf Schüsse treffen Mouhamed Dramé
Daraufhin wurde zweimal hintereinander mit einem Taser auf Dramé geschossen. Der erste Schuss verfehlte, der zweite traf. Fast gleichzeitig zum zweiten Tasereinsatz, sollen hintereinander sechs Schüsse gefallen sein. Der Hauptangeklagte soll sechs Mal mit einer MP5, einer Maschinenpistole, auf Dramé geschossen haben. Fünf Schüsse trafen. Rettungskräfte, die schon in der Nähe waren, versuchten noch das Leben des 16-Jährigen zu retten. Ohne Erfolg - im Krankenhaus wurde später der Tod des jungen Senegalesen festgestellt.
Demonstration zum Jahrestag der tödlichen Schüsse
Der Tod Mouhameds löste Bestürzung aus. Auch die Polizei rückte in den Fokus der öffentlichen Diskussion. Besonders die Wache Nord in Dortmund. Auf Demonstrationen wurde zum Beispiel kritisiert, dass von dieser Wache öfter Fälle von mutmaßlicher Polizeigewalt ausgehen würden. Es wurde auch über fehlendes Vertrauen in und teilweise sogar Angst vor der Polizei gesprochen. Unter anderem gründet sich ein Bündnis - der "Solidaritätskreis Justice4Mouhamed", der immer wieder Demonstrationen organisierte.
Diskussion um die tödlichen Schüsse
Auch beim WDR 5 Stadtgespräch ist der Fall Dramé Thema
Auch der Verlauf des Einsatzes wurde kritisch gesehen. Polizei-Experten sprachen von einer Gewalteskalation, die so nicht notwendig gewesen sei. Vielfach hieß es, die Polizei hätte mildere Mittel in dem Einsatz wählen müssen. NRWs Innenminister Reul stellte sich hingegen hinter seine Beamten und gab an, dass diese versucht hätten, zu deeskalieren.
Währenddessen liefen schon die Ermittlungen der Dortmunder Staatsanwaltschaft und der Polizei Recklinghausen, die den Fall aus Neutralitätsgründen übernommen hatte. Und nahezu wöchentlich kamen neue Details zum Einsatz ans Licht.
Ermittler analysieren Tonbandaufnahme
Oberstaatsanwalt Carsten Dombert
So stellte sich heraus, dass die Bodycams der Polizisten bei dem Einsatz ausgeschaltet waren. Sie hätten bei den Ermittlungen vermutlich wertvolle Hinweise liefern können. Später wurde bekannt, dass der Betreuer, der den Notruf gewählt hatte, das Telefonat während des Einsatzes aufrecht erhalten hatte. Über das aufgezeichnete Gespräch erhoffte sich die Staatsanwaltschaft während der Ermittlungen Infos zum zeitlichen Ablauf des Geschehens.
Der leitende Oberstaatsanwalt Dombert gab relativ schnell bekannt, dass "der Einsatz, so wie er abgelaufen ist und zwar von Beginn an, nicht verhältnismäßig war." Dadurch hätte sich ein Anfangsverdacht gegen die Polizisten ergeben. Bis zu einem Urteil gilt aber die Unschuldsvermutung.
Im Februar 2023 wurde klar: Gegen die beteiligten Polizisten wird Anklage erhoben. Besonders der Fakt, dass der Schütze wegen Totschlags angeklagt wird, sorgte für Aufmerksamkeit. Die Dortmunder Rechtsanwältin Lisa Grüter, die die Angehörigen von Mouhamed Dramé vertritt, hielt diesen Punkt für wichtig: Eine Anklage wegen Körperverletzung mit Todesfolge wäre "juristisch falsch" gewesen, erklärte sie im Februar. Die Anwälte der fünf Beschuldigten wollten sich auf WDR-Anfrage kurz vor Beginn des Prozesses nicht äußern.
Prozess muss offene Fragen klären
Obwohl bereits einige Punkte des Einsatzes bekannt sind, muss der Prozess noch viele offene Fragen klären. Nach Informationen des WDR sei Mouhamed Dramé zum Beispiel nicht vor dem Einsatz des Pfeffersprays und weiterer Waffen gewarnt worden.
Umstritten ist auch, wie sich Dramé auf die Beamten zubewegt und ob die Polizisten dabei von einem Angriff auf sich hätten ausgehen können. Nach bisherigen Erkenntnissen ist die Lage zunächst offenbar statisch gewesen und der 16-Jährige soll wohl nicht versucht haben, die Beamten anzugreifen.
Familie von Mouhamed Dramé möchte Prozess besuchen
Die Familie von Mouhamed Dramé aus dem Senegal hatte im Gespräch mit dem WDR den Wunsch geäußert, den Prozess gegen die Polizisten zu besuchen. Ob das möglich ist, steht bisher nicht fest.
William Dountio vom Solidaritätskreis mit Anwältin Grüter am Tatort
Der "Solidaritätskreis Justice4Mouhamed" hatte bereits im Vorfeld angekündigt, den Prozess zu begleiten und ruft zu einer Kundgebung zu Prozessstart vor dem Dortmunder Landgericht auf. Unabhängig von dem Prozess und einem Urteil wolle man "weiterhin gemeinsam mit der Familie Dramé für Gerechtigkeit kämpfen und an Mouhamed erinnern", so eine Sprecherin des Solidaritätskreises.
Unsere Quellen:
- Recherchen der WDR-Reporter
- Staatsanwaltschaft Dortmund
- Gespräche mit beteiligten Anwälten
- Familie Dramé
- Solidaritätskreis Mouhamed