Vor Prozessstart: Mouhamed Dramés Bruder und Vater zu Besuch in Dortmund
Lokalzeit aus Dortmund. 18.12.2023. Verfügbar bis 18.12.2025. WDR. Von Catherine Jaspard.
Vor Prozessstart: Mouhamed Dramés Bruder und Vater zu Besuch in Dortmund
Stand: 18.12.2023, 10:35 Uhr
Am Dienstag beginnt der Prozess gegen fünf Polizistinnen und Polizisten vor dem Landgericht Dortmund. Sie waren an dem Einsatz beteiligt, bei dem der 16-jährige Mouhamed Dramé erschossen wurde. Kurz vor dem Prozessstart waren Vater und Bruder des Getöteten in Dortmund.
Von Catherine Jaspard
Es war der große Wunsch von Sidy und Lamine Dramé, den Ort zu sehen, an dem ihr Bruder und Sohn am 8. August 2022 in der Dortmunder Nordstadt von der Polizei erschossen wurde. Mouhamed Dramé, 16 Jahre alt, Flüchtling aus dem Senegal, saß in einem Hinterhof einer Jugendeinrichtung in der Dortmunder Nordstadt mit einem Messer in der Hand an der Wand. Möglicherweise wollte er sich damit selbst verletzen. Die Betreuer der Einrichtung riefen die Polizei.
Die Beamten sollen versucht haben, ihn anzusprechen - ohne eine Reaktion zu bekommen. Daraufhin wurde gegen Dramé Pfefferspray eingesetzt. Der 16-Jährige soll aufgestanden und sich in Richtung der Polizisten bewegt haben.
Daraufhin wurde zweimal hintereinander mit einem Taser auf Dramé geschossen. Der erste verfehlte, der zweite traf. Fast gleichzeitig zum zweiten Tasereinsatz, sollen hintereinander sechs Schüsse aus einer Maschinenpistole gefallen sein. Fünf Schüsse trafen Dramé. Er starb wenig später im Krankenhaus.
Harte Vorwürfe von Familie des Opfers
"Die Art und Weise, wie man Mouhamed getötet hat, das kann für alle eine Lektion sein", sagt Sidy Dramé, Mouhameds Bruder. "Wir in Afrika verstehen das als Rassismus von den deutschen Polizisten. Das, was sie gemacht haben, ist inakzeptabel". Es sind harte Vorwürfe von Mouhamed Dramés ältestem Bruder bei seinem Besuch in Dortmund.
Sidy Dramé schaut sich Dortmund an
Am 6. November 2023 kommen er und Vater Lamine Dramé für eine Woche aus dem Senegal ins Ruhrgebiet. Einen Tag später, am 7. November, begleiten wir die beiden zum Einsatzort in die Dortmunder Nordstadt. Sie nähern sich dem Innenhof der Jugendhilfeeinrichtung. Hier wurde Mouhamed von fünf Kugeln getroffen. Kerzen brennen. Fotos von ihm und Sonnenblumen hängen am Zaun. Es ist sein Geburtstag. Heute wäre Mouhamed Dramé 18 Jahre alt geworden.
Emotionaler Besuch am Einsatzort
Vater Lamine Dramé bricht in Tränen aus, dreht sich weg, kann den Anblick nicht ertragen. Sidy Dramé irrt umher, macht einen Schritt nach links, nach rechts, weiß nicht wohin und weint. Schon nach wenigen Minuten möchten sie wieder gehen.
Vater und Bruder am Einsatzort in Dortmund
Später erzählt Sidy Dramé: "Die Gefühle, die wir da hatten, ich konnte kaum meinen Blick heben, um genau zu gucken. Ich habe gezittert, deshalb habe ich mir den Ort gar nicht genau angeguckt." Abends spricht er noch mit seinem Vater über ihren gemeinsamen Besuch am Tatort. "Wir haben noch geredet, aber nicht viel", erzählt Sidy Dramé. "Ich habe ihm gesagt: Hast Du den Ort gesehen? Und er hat gesagt: Ja, ich habe ihn gesehen. Und die Fotos und die Blumen, wie findest Du die? Ja, das ist ihre Tradition. Die Weißen machen das so. Ich habe gesagt: Ja, das ist okay." Sie seien froh und dankbar dafür, dass Mouhamed Dramé hier auf diese Art und Weise gedacht werde.
Anwältin hofft, dass Familie zum Prozess wiederkommt
Sidy Dramé im Gespräch mit Anwältin Grüter
Wir begleiten Sidy Dramé zur Rechtsanwältin Lisa Grüter. Sie vertritt die Familie in der Nebenklage im Prozess. Seit mehr als einem Jahr haben sie Kontakt per Telefon und Video-Call. Die Dortmunder Rechtsanwältin hofft, dass die Familie während des Prozesses nochmal nach Dortmund kommen kann. "Ich finde das moralisch schon ausgesprochen wichtig, dass die Angeklagten in die Gesichter der Familie gucken müssen, die ihren Sohn verloren haben und ihren Bruder verloren haben", erklärt Grüter. "Dass das nicht einfach nur ein Fall ist, der da verhandelt wird, sondern dass da Menschen sind, die trauern und ihn vermissen."
Noch immer große Trauer im Senegal
Die Familie und viele aus Mouhameds Heimatdorf Ndiaffate im Senegal trauern bis heute um den 16-jährigen Geflüchteten, sagt sein ältester Bruder. Einen Tag vor seinem Tod hat Sidy Dramé noch mit Mouhamed telefoniert. "Mouhamed hat sich hier gut gefühlt, den Telefonaten mit uns und Video-Anrufen nach zu urteilen, hatten wir den Eindruck, es ging ihm hier in Dortmund sehr gut", so Sidy Dramé.
Manchmal habe er aber auch gesagt, dass er einsam und traurig sei und seine Familie im Senegal vermisse, erklärt sein Bruder. "Er war nicht gerne allein. Er hatte Angst. Er konnte nicht allein sein. Nachts war es ihm lieber, dass jemand bei ihm ist, damit er Ruhe findet."
Sidy Dramés Erwartungen an den Prozess
Ruhe finden Sidy Dramé und seine Familie nicht, nachdem ihr Bruder und Sohn getötet wurde. "Nein, ich habe noch keinen Frieden gefunden", sagt Sidy Dramé im Interview mit dem WDR. "Solange es noch keine Gerechtigkeit für Mouhamed gibt, haben wir keinen Frieden."
Am Dienstag beginnt der Prozess vor dem Landgericht
Sie warten sehnsüchtig auf den Prozess, bei dem sich fünf Polizistinnen und Polizisten, die an dem Einsatz am 8.8.2022 beteiligt waren, vor dem Landgericht Dortmund verantworten müssen. "Was ich von dem Prozess erwarte, dass die Polizisten sagen, dass sie Unrecht hatten, Mouhamed zu töten, dass sie das bereuen." Nur dann könne er ihnen vergeben, sagt Sidy Dramé. Ob das Verhalten der Polizisten damals rechtswidrig war, wird ab Dienstag vor dem Landgericht in Dortmund verhandelt. Bis zu einem Urteil gilt die Unschuldsvermutung.
Überraschender Besuch in Dortmund
Bruder und Vater waren zwischen dem 6. und 14. November völlig überraschend in Dortmund. Der Integrationsrat der Stadt hatte auf Antrag der Ratsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen vor einem Jahr 5.000 Euro bewilligt und dem Dortmunder Verein Cohedo e.V. zukommen lassen.
Großdemonstration zu Polizeigewalt in Dortmund
Dieser Verein hat Sidy und Lamine Dramé nach Dortmund geholt. Über ihre Reise sollten die beiden Stillschweigen bewahren, der Verein Cohedo e.V. hatte sie darum gebeten. Nicht einmal ihre Dortmunder Anwältin war über den Besuch informiert. Und auch nicht der Solidaritätskreis Justice4Mouhamed, der seit mehr als einem Jahr in engem Kontakt mit der Familie steht, Kundgebungen, Mahnwachen und Demonstrationen organisiert. Sidy und Lamine Dramé wussten nach eigenen Angaben bei Reiseantritt überhaupt nicht, was in Dortmund auf sie zukommt. Unter anderem hat der Verein Cohedo e.V. ein Treffen mit dem Stadtdirektor, dem Integrationsrat und der senegalesischen Botschaft in Berlin organisiert.
Bei ihrer Ankuft in Dortmund informierten Bruder und Vater unsere Reporterin, sie steht schon länger in Kontakt mit der Familie. Deshalb konnte der WDR den Besuch in Dortmund am Ende doch noch begleiten.
Familie wäre lieber zum Prozessstart gekommen
Auf WDR-Anfrage bei Cohedo e.V., warum die Öffentlichkeit nicht über den Aufenthalt der Dramés in Dortmund informiert wurde, hieß es: "Das ist eine rein private Reise und deshalb muss der Verein niemanden informieren. [...] Und mit dem Prozess haben wir nichts zu tun. Das ist uns egal." Die "rein private Reise" wurde mit städtischen Geldern finanziert. Belege werden noch angefordert, teilt die Stadt mit.
Die Familie wäre lieber während des Prozesses nach Dortmund gekommen, sagte sie dem WDR. Sie selbst könne die Kosten für die Reise nämlich nicht aufbringen. Der Solidaritätskreis Justice4Mouhamed hat angekündigt, dafür Spenden zu sammeln.
Unsere Quellen:
- Recherchen der WDR-Reporterin
- Familie von Mouhamed Dramé
- Stadt Dortmund
- Cohedo e. V.
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