So haben die Todesschüsse von Dortmund die Polizeiarbeit verändert
Stand: 08.08.2023, 17:09 Uhr
Ein 16-Jähriger wird durch mehrere Polizeischüsse aus einer Maschinenpistole getötet. Ein Jahr nach dem Fall aus Dortmund gab es einige Konsequenzen. Doch reichen die aus?
Von Christian Wolf und Arne Hell
Immer wieder kommt es vor, dass die Landespolitik in Düsseldorf über umstrittene Einsätze der Polizei diskutiert. Wurden Fehler gemacht? Gab es ein zu hartes Durchgreifen? Oder hätte konsequenter agiert werden müssen? Oftmals ist die Aufregung groß und dann auch schnell wieder verflogen. Wirkliche Veränderungen gibt es selten.
Innenminister Herbert Reul
Im Fall des durch Polizeischüsse getöteten 16 Jahre alten Mouhamed Dramé aus Dortmund ist das anders. Er beschäftigt die Landespolitik noch immer und hat die Arbeit der Polizei nachhaltig beeinflusst. "Was dieser Dortmunder Fall für Veränderungen in der nordrhein-westfälischen Polizei ausgelöst hat, das ist schon beispielhaft", sagt NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU).
Pfefferspray, Taser und dann Schüsse
Zur Erinnerung: Vor genau einem Jahr, am 8. August 2022, wurde die Dortmunder Polizei zu einer Jugendhilfeeinrichtung gerufen, wo der 16-jährige Dramé zunächst gedroht haben soll, sich mit einem Messer zu töten. Der Flüchtling aus dem Senegal wurde von der Polizei erst mit Pfefferspray und zwei Tasern beschossen. Schließlich schoss ein Polizist mit einer Maschinenpistole, der Jugendliche starb im Krankenhaus.
Kurz nach dem Einsatz hatte Reul die beteiligten Beamten noch in Schutz genommen. Doch inzwischen zeigt sich ein anderes Bild. Die Staatsanwaltschaft ist sich sicher, dass der Einsatz nicht so gelaufen ist, wie es sein soll. Gegen fünf Polizistinnen und Polizisten hat sie deshalb Anklage erhoben - unter anderem gegen den Schützen wegen Totschlags. Ende des Jahres könnte der Prozess beginnen.
Mehr Trainingstage für Streifenpolizisten
Die politische Aufarbeitung ging hingegen schneller und es wurden bereits Konsequenzen gezogen. So hat das Land für alle 18.000 Polizistinnen und Polizisten im Wachdienst zwei zusätzliche Trainingstage pro Jahr eingeführt. Dort soll es zum Beispiel um den Umgang mit Menschen aus migrantischen Communitys gehen oder um Einsätze mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen. "Das ist die größte Veränderung, die wir in der Ausbildung je gemacht haben", sagt Reul dazu.
GdP-NRW-Chef Michael Mertens
Der NRW-Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Michael Mertens, findet das zwar gut. Sagt aber auch: "Wenn es nach der Gewerkschaft der Polizei ginge, müssten die noch viel mehr trainieren, weil nur durch Training, durch Einsatzsituationen, die wir üben, können wir besser werden." Doch andere Fortbildungen würden dadurch nach hinten geschoben.
Tragepflicht für Bodycams - aber keine Einschaltpflicht
Auch an anderer Stelle hat der Tod von Mouhamed Dramé zu Veränderungen bei der Polizei geführt: dem Tragen von sogenannten Bodycams. Dabei handelt es sich um kleine Kameras, die von den Polizistinnen und Polizisten am Körper getragen werden und Einsätze aufzeichnen können.
Als Konsequenz aus dem Dortmunder Fall hat Reul im Frühjahr eine Tragepflicht angeordnet. Die Beamten müssten die Kameras also nun am Körper tragen. Aber: Es gibt keine Pflicht, sie auch an zu machen. Das geben die rechtlichen Bedingungen derzeit nicht her. Im aktuellen Polizeigesetz wird den Beamtinnen und Beamten Ermessensspielraum gelassen - es gibt mehrere "Kann"-Bestimmungen.
Forderung nach klaren Regeln
Aus Sicht der SPD ist die Tragepflicht deshalb wertlos. "Sie löst das Problem, was wir im Dortmunder Fall hatten, eigentlich überhaupt nicht, denn in Dortmund haben die Beamten ja die Bodycams getragen", sagt die innenpolitische Sprecherin Christina Kampmann. Der Innenminister müsse Rechtssicherheit schaffen und konkret regeln, wann die Bodycams eingeschaltet werden sollen und wann nicht.
Auch die Gewerkschaft der Polizei fordert das inzwischen. "Es kann nicht sein, dass das eine Entscheidung ist, die im Nachhinein immer nachgefragt wird, und dann wird suggeriert, man hätte was zu vertuschen", sagt Mertens. Der derzeitige Weg verunsichere die Kolleginnen und Kollegen.
Grüne haben Bedenken
Doch warum wird dann nicht das Polizeigesetz geändert? Das dürfte an den Grünen liegen, die zusammen mit der CDU in NRW regieren. Die haben Bedenken gegen zu viel Videoüberwachung.
Grünen-Politikerin Julia Höller
Und es zeichnet sich nicht ab, dass da Bewegung in die Sache kommt. So weist die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Julia Höller, auf WDR-Anfrage auf eine "sehr gründliche politische und rechtliche Diskussion" hin, die es vor einer Änderung geben müsse. "Dabei ist abzuwägen, ob wir eine Ausweitung der polizeilichen Videoüberwachung im öffentlichen Raum in Kauf nehmen wollen, um für mehr Transparenz und Nachvollziehbarkeit im Nachgang von Polizeieinsätzen zu sorgen." Die Bedenken scheinen also noch immer groß zu sein.
Auch ein anderes Vorhaben hängt noch in der Luft. Nach den Erfahrungen aus Dortmund hieß es, dass häufiger Dolmetscher eingesetzt werden sollen. Reul verweist allerdings auf aufwändige Verfahren. Zunächst einmal soll der Polizei das Smartphone helfen - mit Übersetzungsapps.
Vertrauensschaden und Fehlerkultur
Christina Kampmann, innenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion
Wie steht die Polizei also ein Jahr nach den tödlichen Schüssen und der darauf folgenden Kritik an ihr dar? SPD-Frau Kampmann sagt: "Aus unserer Sicht gibt es einen Vertrauensschaden." Um etwas dagegen zu tun, brauche es Maßnahmen, die wirklich geeignet und wirksam seien, um solche Fälle zu verhindern.
Und Gewerkschafter Mertens sagt: "Das, was in Dortmund passiert ist, hat die Polizei beschäftigt und war großes Gesprächsthema und ist auch immer noch Gesprächsthema unter meinen Kolleginnen und Kollegen." Im Vergleich zu früher gebe es inzwischen eine "deutlich bessere Fehlerkultur".