Experten aus Forschung und Wissenschaft sowie von Staatsanwaltschaft und Gericht haben am Freitag ihre Erfahrungen geteilt. Die Idee hinter der Veranstaltung: Die Wissen der Experten bündeln. Damit diejenigen, die mit Kindern arbeiten, Opfer schneller erkennen und schützen können.
Zwei oder drei Kinder pro Klasse pro Klasse Opfer sexualisierter Gewalt
Die 300 Zuhörerinnen und Zuhörer der Diskussionsrunde arbeiten in Schulen, Kitas und in der Offenen Ganztagsbetreuung von Schulen. Andere arbeiten für Jugendämter oder Sportvereine. Sie alle sind sehr nah dran an denen, um die es geht: Kinder und Jugendliche.
Mehrere hundert Menschen verfolgten die Podiumsdiskussion im Bonner Landgericht.
Laut Polizei sind im vergangenen Jahr deutschlandweit 18.500 Kinder unter 14 Jahren Opfer sexualisierter Gewalt geworden. "Man geht davon aus, dass ein bis drei Kinder pro Klasse betroffen sind", sagt Professorin Karla Verlinden von der Katholischen Hochschule NRW. "Und wenn man die 18.500 durch die Tage des Jahres rechnet, sind es 50 pro Tag."
Täter aus dem direkten Umfeld von Kindern und Jugendlichen
Die Psychologin spricht nur von den bekannt gewordenen Fällen. Die Dunkelziffer sei noch sehr viel höher. Das wissen auch Staatsanwältin Judith Jakob und Volker Kunkel, die beide mit auf dem Podium sitzen. Kunkel ist langjähriger Vorsitzender der Jugendschutzkammer des Bonner Landgerichts.
Kunkel weiß aus Erfahrung, dass meistens nicht etwa Fremde, sondern Menschen aus dem direkten Umfeld von Kindern und Jugendlichen die größte Gefahr darstellen. Am häufigsten angeklagt werde der Stiefvater.
Auf Warnsignale der betroffenen Kinder achten
"Sehr, sehr häufig sitzen Kinder vor mir, die mir erklären, dass sie nichts gesagt haben, weil ihre Mutter den doch so lieb gehabt hätte", schildert der Richter. "Und dass die Mutter doch traurig gewesen wäre, wenn der weg gewesen wäre. Deshalb hätten die Kinder ihr Leid ertragen."
Die Experten berichten von Warnsignalen, die die betroffenen Kinder senden. Es können Ess- und Schlafstörungen sein. Manche werden wütend, andere ziehen sich zurück. "Auch wenn sie plötzlich nicht mehr an bestimmte Orte oder zu bestimmten Menschen wollen", so Karla Verlinden, "könnte das ein Hinweis auf sexualisierte Gewalt sein."
Wann kann ein Verdacht geäußert werden?
Aber wann ist der Moment gekommen, einen Verdacht zu äußern? Auch darüber tauschen sich die Teilnehmer im Bonner Landgericht aus. Richterin Saskia Wielpütz hatte die Idee dazu.
"Als Mutter von zwei Kindern habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, dass ich auch immer in den Institutionen, in denen sich meine Kinder bewegen, ein bisschen reinhorche", erzählt sie. "Gibt es da ein Problembewusstsein für den Bereich sexualisierte Gewalt. Und manchmal hatte ich den Eindruck, dass es etwas holzschnittartige Vorstellungen gibt."
Expertin: Thema muss Bestandteil der Ausbildung werden
Das Interesse an dem Abend war unerwartet groß. Bei einigen war es der Wille, sich mehr mit sexualisierter Gewalt an Kindern auseinanderzusetzen. Bei anderen gab es auch Unsicherheit. Das Thema müsse endlich auch fester Bestandteil der pädagogischen Ausbildung werden, kritisiert Psychotherapeutin Verlinden.
"Oftmals geht es unter im Trubel der nicht ganz so gut ausgestatteten pädagogischen Institutionen, die dann nicht die Zeit, nicht die Ressourcen und oft auch nicht das Wissen über sexualisierte Gewalt und die Symptome der Kinder haben – so, dass gar nicht darauf reagiert wird."
Beratungen und Netzwerke rund um das Thema sexualisierte Gewalt gibt es. Aber der gestrige Abend hat auch gezeigt, dass das nur ein Anfang sein kann. Viele wünschen sich noch mehr Hilfe, um Kinder besser schützen zu können.
Quelle:
Über dieses Thema berichtet der WDR am 19.04.2024 in der Lokalzeit aus Bonn im WDR-Fernsehen um 19:30 Uhr.