Kinder und Jugendliche, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind, trauen sich oft nicht, sich ans Jugendamt zu wenden. Das ist ein Ergebnis der Studie der "Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindermissbrauchs", die am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Es geht darin speziell um die Rolle von Jugendämtern.
Betroffene von sexualisierter Gewalt haben offenbar ein schlechtes Bild von Jugendämtern, die sich selbst als Hilfeinstanz verstehen. Viele Kinder und Jugendliche haben den Studien-Machern beschrieben, dass sie Kontakt zu den Jugendämtern nur als allerletzten Ausweg sehen. Eine Betroffene hat erzählt, dass für sie die Vorstellung zum Jugendamt zu gehen, "das Schrecklichste" gewesen ist und sie sich erst da gemeldet hat, als sie Angst um ihr Leben hatte.
Umgehende Reaktion bei Anfragen
Dieses in der Öffentlichkeit verbreitete Bild von Jugendämtern, heißt es, machen sich die Täter zunutze. Sie schürten gezielt die bei Kindern und Jugendlichen bestehenden diffusen Ängste vor Jugendämtern und sorgten damit dafür, dass die Hemmschwelle hoch bleibe.
Um die Situation von betroffenen Kindern und Jugendlichen zu verbessern, fordern die Studienmacher schnelle Reaktionen bei Anfragen. Sie sagen: Wenn Betroffene sich beim Jugendamt melden, muss ihnen sofort zugehört werden. Finde ein solcher Termin erst Tage oder Wochen später statt, sei das zu spät. Denn dann trauten sich Kinder und Jugendliche nicht mehr, sich zu öffnen.
Sich genügend Zeit nehmen
Außerdem müsse für Gesprächstermine ausreichend Zeit vorhanden sein. "Schnell, schnell" funktioniere in diesem Fall nicht, sagte Thomas Meysen, einer der Studienmacher am Dienstag dem WDR. Kinder würden nicht sofort über sexualisierte Gewalt sprechen, wenn sie beim Jugendamt seien.
"Da brauchen sie Zeit. Da brauchen sie jemanden, bei dem sie vertrauen können." Es sei dann die Aufgabe des Jugendamtes, Angebote zu machen, damit die Kinder im Kontakt bleiben und irgendwann von ihrer Not zu erzählen.
Mehr Qualifizierung für mehr Fachkräfte
Eine weitere Forderung der Studienmacher ist, dass Fachkräfte in den Jugendämtern immer wieder für die Arbeit mit Betroffenen geschult werden. Wie in vielen Bereichen sei auch hier der Fachkräftemangel ein großen Problem.
Thomas Meysen findet, NRW sei auf einem guten Weg. Man habe aus Fällen wie Lügde gelernt. Die Jugendämter im Land stellten sich zum Beispiel alle fünf Jahre der Einschätzung von unabhängigen Experten. In Lügde hatte ein Pflegevater auf einem Campingplatz jahrelang Kinder und Jugendliche schwer missbraucht. Der Fall sorgte bundesweit für Entsetzen.
Anhörungen, Akten und Berichte
Die Fallstudie basiert auf der Auswertung von 69 Anhörungen beziehungsweise Berichten Betroffener aus sieben Jahrzehnten, von acht Jugendamtsakten sowie auf Interviews mit Fachkräften.
Die Studie wurde vom Heidelberger Institut SOCLES unter Leitung Meysens erstellt, in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Jugendinstitut. Meysen war auch Leiter der Lügde-Kommission beim niedersächsischen Justizministerium, die das Versagen des Jugendamts untersuchte.