Die elektronische Patientenakte ist da: Was muss ich wissen?
Stand: 15.01.2025, 06:00 Uhr
Die Tonnen Papierakten der Krankenkassen sollen künftig für Patienten und behandelnde Ärzte digital verfügbar sein. Heute wird die elektronische Patientenakte in mehreren Modellregionen in Deutschland eingeführt. Was bringt sie den Patienten und welche Nachteile hat sie?
Die elektronische Patientenakte (ePA) startet heute zunächst mit einer Testphase in Hamburg, Franken und in Teilen Nordrhein-Westfalens. In 300 Gesundheitseinrichtungen (bis zu 100 davon in NRW) werden die Akte und die Abläufe in den Praxen erprobt.
Wichtige Fragen und Antworten zur ePA:
- Was muss ich tun, wenn ich die ePA möchte?
- Welche Vorteile hat die Akte?
- Gibt es Nachteile für Patienten?
- Ist ein Widerspruch möglich?
- Für wen sind die medizinischen Daten einsehbar?
- Wie steht es um den Datenschutz?
- Was passiert mit den Daten der ePA noch?
- Ab welchem Alter können Patienten entscheiden?
- Wie können Patienten die ePA nutzen?
Was muss ich tun, wenn ich die ePA möchte?
Seit 2021 kann jeder Versicherte bei der eigenen Krankenkasse eine elektronische Patientenakte beantragen. Automatisch bekommen Versicherte die elektronische Patientenakte ab heute zunächst in ausgewählten Testpraxen in Hamburg, Franken und NRW. Mitte Februar soll die ePA bundesweit verfügbar sein.
Welche Vorteile hat die Akte?
Behandelnde Ärzte können alle medizinischen Informationen einsehen, die jemals über den Patienten von Arztpraxen, Krankenhäusern, Apotheken und anderen Gesundheitseinrichtungen gesammelt wurden. Ärztinnen und Ärzte sollen sich so einen schnellen Überblick über die Krankengeschichte machen können. Befunde, verschriebene Medikamente, Röntgendaten und Impfdaten sind schnell einsehbar. In einem Notfall kann das helfen, um zum Beispiel gefährliche Wechselwirkungen mit Medikamenten zu vermeiden.
Aber auch bei Haus- und Fachärzten können Doppeluntersuchungen vermieden werden, was zu einer Entlastung von Ärzten und Patienten führen kann. Behandlungen sollen so effektiver, schneller und günstiger ablaufen können. Bisher wird in Deutschen Praxen und Kliniken noch immer gemailt, gefaxt und gedruckt. Durch das E-Rezept kam Schwung in die Digitalisierung im Gesundheitssystem. Nun sollen auch zeitraubende Telefonate wegen Vorbefunden des Patienten wegfallen.
Gibt es Nachteile für Patienten?
Ein Bündnis aus Kritikern, darunter die Verbraucherzentrale Bundesverband e.V und die Deutsche Aidshilfe, fordert eine aktive Zustimmung der Patienten als Voraussetzung für die elektronische Patientenakte, so wie sie auch bei privaten Akten von Nöten ist. Die Kritiker befürchten Nachteile für Patienten durch die Freigabe sensibler Daten wie psychischer Erkrankungen oder sexuell übertragbarer Infektionen.
Patienten mit Depressionen, Abhängigkeitserkrankungen oder bestimmten sexuellen Orientierungen würden durch die Einsehbarkeit aller medizinischen Daten diskriminiert werden. Das Bundesgesundheitsministerium schreibt dazu auf seiner Internetseite: "Die Umsetzung der ePA für alle erfolgt datenschutzkonform. Die Daten werden auf sicheren Servern innerhalb der Telematikinfrastruktur (TI) gespeichert und in der ePA verschlüsselt angelegt."
Ist ein Widerspruch möglich?
Patienten müssen einer Datenfreigabe nicht aktiv zustimmen, um eine elektronische Patientenakte zu bekommen. Widersprüche - digital und per Anruf - bei den gesetzlichen Krankenkassen sind aber möglich. Bei einem Widerspruch wird die Akte nicht angelegt oder nachträglich gelöscht. Auch können Versicherte festlegen, dass eine Praxis, ein Krankenhaus oder eine Apotheke keinen Zugriff auf die ePA erhält. Zudem kann Widerspruch gegen das Einstellen einzelner Dokumente, Abrechnungsdaten, Medikationslisten und gegen die Nutzung der Daten zu Forschungszwecken eingelegt werden.
All das gilt für gesetzlich Versicherte. Privat Versicherte bekommen die Akte nämlich nicht automatisch, sondern erst, wenn sie eine Erlaubnis erteilen. Private Kassen müssen ihren Patienten die ePA nicht anbieten.
Für wen sind die medizinischen Daten einsehbar?
Einblick in die freigegebenen medizinischen Informationen der Akte erhalten Personen, die einen elektronischen Heilberufsausweis haben im Krankheitsfall des Patienten automatisch 90 Tage lang. Den Heilberufsausweis haben Ärzte, Apotheker, Pflegepersonal, Praxen oder Krankenhäuser. Patienten können jederzeit ihre medizinischen Daten einsehen, einfügen, löschen, verbergen, Zugriffsrechte erteilen oder beschränken und nachträglich Widersprüche einlegen. Dafür müssen sich die Patienten bei ihren Krankenkassen erkundigen, wie sie das genau umsetzen können.
Wie steht es um den Datenschutz?
Da einer Datenfreigabe nicht aktiv zugestimmt werden muss, haben Patientenschützer Bedenken, weil Patienten schlicht vergessen könnten, die Datenfreigabe abzulehnen. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber kritisiert zudem, dass Patienten mit der Frage, welche Daten nun beschränkt werden sollten, unter Zeitdruck überfordert sein könnten.
Der Chaos Computer Club (CCC) hält das ePA-Sicherheitskonzept, das vom Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie positiv begutachtet wurde, für eine "halluzinierte Fehldiagnose". Ungelöst sei das Problem, dass Hacker mit wenig Aufwand Heilberufs- und Praxisausweise sowie Gesundheitskarten beschaffen und damit auf Gesundheitsdaten zugreifen können. Mängel im System erlaubten es außerdem, Akten beliebiger Versicherer aufzurufen, ohne dass Gesundheitskarten präsentiert oder eingelesen werden müssen. Zurzeit sei die ePA angesichts der verschiedenen Sicherheitslücken "nicht vertrauenwürdig", schrieb der CCC Ende Dezember in einer Mitteilung.
Gesundheitsminister Lauterbach konterte jedoch bereits im September 2024 aufkommender Kritik zur Datensicherheit: "Der Datenschutz und die Datensicherheit waren uns zu jedem Zeitpunkt das wichtigste Anliegen. Alles, was wir hier machen, setzt voraus, dass die Datensicherheit gewährleistet ist." Die Patienten würden zu jedem Zeitpunkt "die Herren ihrer Daten" bleiben.
Was passiert mit den Daten der ePA noch?
Daten aus der elektronischen Patientenakte sollen für Forschungszwecke an Universitäten und die Pharmaindustrie pseudoanonymisiert weitergegeben werden, um die Versorgung von Patienten zu verbessern. Pseudoanonymisiert bedeutet, dass Daten wie Namen etwa durch Codes ersetzt werden. Dieser Nutzung können Patienten bei ihrer Krankenkasse ebenfalls widersprechen.
Das Bündnis aus Kritikern schreibt: "Die digitale Verfügbarkeit von Gesundheitsdaten öffnet das Gesundheitswesen für eine ganze Reihe neuer wirtschaftlicher Akteur*innen, die einen inhärenten Interessenkonflikt beim Zugriff auf Gesundheitsdaten oder dem Betrieb von entsprechenden Systemen aufweisen."
Ab welchem Alter können Patienten entscheiden?
Patienten ab 15 Jahren sollen selbst entscheiden können, welche Daten in ihren Akten landen. Bis dahin entscheiden die Erziehungsberechtigten über die Datenfreigabe ihrer Kinder. Erwachsene Kinder von pflegebedürftigen Eltern sollen auf deren Daten Zugriff erhalten können.
Wie können Patienten die ePA nutzen?
Die Akte wird über eine App aufgerufen, die die jeweilige Krankenkasse zur Verfügung stellt. Beispielsweise können sie dann die elektronische Patientenakte mit gesammelten Daten von Fitness-Trackern auf ihren Smartwatches versorgen. Auch Menschen ohne Smartphone oder Computer sollen Zugriff auf ihre eigene elektronische Patientenakte bekommen. Sie können sich dafür an Apotheken oder ihre Krankenkasse wenden.
Anfangs wird die elektronische Patientenakte nicht über alle geplanten Funktionen verfügen, sie soll aber nach und nach weiterentwickelt werden. So könnten zum Beispiel erst einmal keine Röntgen- und MRT-Bilder gespeichert werden, jedoch die dazugehörigen Befunde. Ebenso eine Schnittstelle zum Organspenderegister soll in Arbeit sein.
Unsere Quellen:
- Nachrichtenagentur dpa
- Pressekonferenz Bundesgesundheitsamt
- Chaos Computer Club
- Kassenärztliche Bundesvereinigung
Über dieses Thema berichten wir am 15.01.2025 auch im Radio und Fernsehen.