Ein Polizist hat seine Hand an seiner Waffe.

Polizist erschießt Jugendlichen: "Das geht tief in die Seele des Beamten"

Stand: 09.08.2022, 19:12 Uhr

Es lässt einen nie mehr los. Wer als Polizist bei einem Einsatz einen anderen verletzt oder gar tötet, vergisst es für den Rest seines Lebens nicht, wie Notfallseelsorger und Ex-Polizist Jürgen Röhr im WDR-Interview erklärt.

Von Sabine Meuter

Ein Jugendlicher stirbt in Dortmund aufgrund von Schüssen aus einer Polizeipistole. Vor allem für Angehörige und Freunde ist das schwer erträglich. Aber auch für den Polizisten selbst. "Das geht tief in die Seele des Beamten“, sagt Notfallseelsorger und Ex-Polizist Jürgen Röhr dem WDR.

Jürgen Röhr, Notfallseelsorger und Ex-Polizist.

Röhr weiß, wovon er spricht. Jahrelang hat er als Polizist gearbeitet, war zuletzt bei einem Einsatz angeschossen worden und lag mehr als drei Monate im Koma. Heutzutage leitet er eine Selbsthilfegruppe für Polizisten. Als er am Dienstag von dem tragischen Ausgang des Polizeieinsatzes in Dortmund hörte, nahm er - selbstverständlich - Anteil am Tod eines Jugendlichen. "Aber gleichzeitig kam mir aufgrund meiner Arbeit auch der Gedanke, wie es jetzt meinem Kollegen geht", erklärt Röhr.

Einsatz von Pfefferspray ist keine Alternative

Aus seiner Sicht hatte der Polizist in Dortmund keine andere Wahl, als den Angreifer anderweitig außer Gefecht zu setzen. "Sie müssen bedenken, wenn Sie jemand mit dem Messer angreift, haben Sie keine Chance, wenn er näher als sieben Meter ist", so Röhr. "Es kann dazu führen, dass er Sie verletzt oder tötet." Irgendwann müssten Einsatzkräfte der Polizei schießen - aus Notwehr. "Sie wollen ja auch gesund nach Hause kommen zu ihrer Familie."

Der Einsatz von Pfefferspray, um den Angreifer Schachmatt zu setzen, sei bei solchen Einsätzen keine Alternative. "Aus der Erfahrung heraus weiß man, dass Pfefferspray bei solchen Einsätzen nicht wirkt, weil die Menschen voller Adrenalin sind." Einem Polizisten bleibe also oftmals aus Gründen des Selbstschutzes, aber auch zum Schutz von anderen nichts anderes übrig, als zu schießen.

Kein Polizist will einen anderen töten oder verletzen

Schlimm sei es, wenn der Beamte dann realisiere, dass er oder sie jemanden erschossen habe. "Kein Polizist will einen anderen Menschen töten oder verletzen, wir haben einen Helferberuf, dafür sind wir da", betont Röhr. Schüsse hätten "die Kollegen bestimmt bis zur letzten Sekunde versucht abzuwenden". Und dann passiert es.

"In dem Moment, in dem der Schuss fällt, hört das alte Leben eines Polizisten auf", sagt Notfallseelsorger Röhr. Zwar könne man das Geschehen irgendwann im Laufe der Zeit überwinden, man könne auch damit lernen zu leben. Es gebe viele gute Hilfsangebote für Betroffene. Und trotzdem bleibt eine solche Geschichte Teil des Lebens. "Ob Sie es wollen oder nicht, es wird immer in Ihrer Erinnerung bleiben."

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