Scharfe Kritik am Entlastungspaket: Berechtigt oder nicht?

Stand: 05.09.2022, 14:02 Uhr

Das neue Entlastungspaket der Bundesregierung findet nicht nur Beifall: Sozialverbände klagen, die Hilfen gingen nicht weit genug. Die Wirtschaft fühlt sich übergangen. Welche Kritik ist berechtigt und welche eher nicht? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Von Andreas Poulakos und Wolfgang Landmesser

Am Sonntag hat die Bundesregierung ihr Entlastungspaket vorgestellt, mit dem Privatpersonen und Unternehmen vor den Folgen der explodierenden Energiepreise und der allgemeinen Inflation geschützt werden sollen. Während die Ampel-Regierung von zielgenauen und gerechten Hilfen spricht, mehrt sich auch die Kritik an dem Paket.

Was sind die zentralen Kritikpunkte? Werden die Hilfen wirklich gerecht verteilt? Hat der Plan noch klaffende Lücken? Fragen und Antworten.

Werden Menschen mit kleinem Einkommen ausreichend entlastet?

Das kommt darauf an, wie man "kleine Einkommen" definiert. Das Entlastungspaket enthält besonders für Empfänger von Wohngeld zahlreiche Erleichterungen. Sie erhalten Einmalzahlungen, um die Heizperiode zwischen September und Dezember finanziell zu überstehen und ab dem kommenden Jahr eine reguläre Erhöhung der Heizkostenzuschüsse. Allerdings haben im Jahr 2020 laut Statistischem Bundesamt nur 1,5 Prozent aller privaten Haushalte in Deutschland Wohngeld bezogen. Erst im kommenden Jahr soll die Zahl der Wohngeld-Berechtigten um etwa zwei Millionen Menschen steigen.

Menschen, die bereits Sozialleistungen wie die Grundsicherung beziehen, können kein Wohngeld beantragen. Denn bei ihnen sind Unterkunftskosten und auch die Kosten für Strom und Heizung schon in diesen Leistungen berücksichtigt. Für die Empfänger von Hartz IV und Sozialgeld wird trotzdem es eine Erhöhung des Regelsatzes um rund 50 Euro geben, wenn die alten Sozialleistungen ab dem 1. Januar 2023 durch das neue Bürgergeld abgelöst werden.

Fazit: Auch in den beiden bereits beschlossenen Entlastungpaketen gab es gezielte Hilfen für Menschen, die Sozialleistungen bekommen. Das baut die Bundesregierung jetzt noch mal deutlich aus. Auch für Einkommensempfänger und -empfängerinnen, die über der Anspruchsgrenze liegen, gibt es etwas Entlastung: Bis 2.000 Euro Monatsbrutto müssen sie keine vollen Sozialversicherungsbeiträge mehr bezahlen. Für sie und Menschen mit Einkommen, die darüber liegen, dürften die Entlastungen trotzdem kaum reichen, ihre höheren Kosten auch nur annähernd auszugleichen.

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0630 - der News-Podcast 05.09.2022 26:56 Min. Verfügbar bis 05.09.2027 WDR Online


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Bleibt der "arbeitende Mittelstand" auf der Strecke?

Was ist mit der großen Gruppe der Menschen, die zwar ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft erwirtschaften können und nicht auf Sozialleistungen angewiesen sind, aber dennoch durch die allgemeine Inflation und besonders die gestiegenen Energiekosten finanziell in Bedrängnis geraten?

Auch für die Allgemeinheit sieht das Entlastungspaket einige Hilfen vor: zum Beispiel mehr Kindergeld. Perspektivisch soll auch ein günstiger Nachfolger des 9-Euro-Tickets im kommenden Jahr für Entlastung sorgen. Ob das im Einzelfall wirklich ausreicht, ist unklar.

Fazit: Die Entlastungen werden für viele Menschen mit mittleren Einkommen sicher nicht reichen, um ihren Lebensstandard zu halten. Es kommt aber auf den Einzelfall an, was wirklich an Entlastung fließt. Auch die Punkte aus den Entlastungspaketen I und II gehören mit in die Rechnung: die höhere Kilometerpauschale für Fernpendler, höhere Steuerpauschalen und die Energiepreispauschale für Berufstätige, die im September mit der Gehaltsabrechnung ausgezahlt wird.

Wurden Reiche geschont?

Sozialverbände und die Linkspartei kritisieren, dass auch Menschen vom Entlastungspaket profitieren, die angesichts ihres hohen Einkommens gar nicht auf staatliche Hilfen angewiesen sind. Sie verweisen dabei vor allem auf die Neuordnung der Einkommenssteuer, die die "kalte Progression" ausgleichen soll.

Gemeint ist damit eine versteckte Steuererhöhung, wenn eine Gehaltserhöhung komplett durch die Inflation aufgefressen wird, aber dennoch zu einer höheren Besteuerung führt. Tatsächlich werden hohe Einkommen besonders davon profitieren, wenn es um die Höhe der Steuererleichterung geht.

Fazit: Dass durch den Abbau der kalten Progression vor allem Wohlhabende entlastet werden, wird zwar oft behauptet, ist aber nicht bewiesen. Was stimmt: Von der Anhebung der Einkommensgrenzen profitieren eher Menschen mit höherem Gehalt. Aber gleichzeitig zahlen sie auch die meisten Steuern, mit denen das Entlastungspaket finanziert wird. Der Spitzensteuersatz von 42 Prozent greift aktuell ab einem Einkommen von knapp 59.000 Euro. Das ist kein schlechtes Gehalt, aber eher kein Spitzenverdienst.

Bei der so genannten "Reichensteuer" (45 Prozent Steuersatz ab rund 278.000 Euro) soll es übrigens keinen Inflationsausgleich geben. Die Frage lautet also eher: Werden die von der Krise besonders betroffenen Menschen ausreichend entlastet? Das dritte Entlastungspaket enthält in dieser Richtung einige Elemente. Sie werden aber kaum reichen, um alle Härten auszugleichen.

Die Strompreisbremse soll zum Energiesparen motivieren. Und was ist mit Gas?

Für einen gewissen Basisverbrauch an Strom soll nach den Plänen der Bundesregierung künftig ein vergünstigter Preis gelten. Wer mehr verbraucht, muss für den Mehrbedarf einen weit höheren Preis zahlen. Oppositionspolitiker wie CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt kritisieren, dass es keine Maßnahmen der Ampel zur Reduzierung der Gaspreise gebe.

Fazit: Durch die Strompreisbremse gibt es immerhin die Aussicht, dass private Haushalte durch einen geringeren Basispreis für Strom entlastet werden. Die Details sind allerdings noch nicht klar. Und die Bundesregierung möchte eine europäische Lösung, deren Ausarbeitung noch einige Zeit in Anspruch nehmen könnte.

Beim Gaspreis ist die Aussicht auf Entlastung noch weiter entfernt: Zur Klärung dieser Frage soll nun eine Expertenkommission gebildet werden. Eine Lösung könnte also als Mittel gegen die aktuell hohen Preise viel zu spät kommen.    

Gibt es genug Hilfen für mittelständische Unternehmen?

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und andere Wirtschaftsverbände kritisieren, dass viele kleine und mittlere Betriebe im Entlastungspaket nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Bei vielen geplanten Hilfen sei es noch nicht klar, wann sie fließen und wer Anspruch anmelden kann.

Tatsächlich treffen Inflation und Energiekrise derzeit auf eine mittelständische Wirtschaft, die sich teilweise noch längst nicht von der Corona-Pandemie erholt hat. Vorgesehen sind zwar zinsgünstige Kredite und die Verlängerung anderer Programme. Kurzfristig könnten trotzdem viele Unternehmen in Not geraten.

Fazit: Bei den Unternehmenshilfen bleibt das dritte Entlastungspaket teilweise vage. Die Regierung plant zwar konkrete Hilfen, die schon aus der Corona-Krise bekannt sind: zum Beispiel zinsgünstige Kredite der staatseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau oder der unbürokratische Zugang zu Kurzarbeitergeld.

Firmen, die besonders abhängig sind von Gas- und Stromlieferungen, wird das aber kaum helfen: Dazu gehören zum Beispiel Metall-Gießereien, Papierfabriken oder auch Bäckereien. Für Unternehmen, die ihre Energiekosten nicht durch höhere Preise weitergeben können, stellt die Ampelregierung aber ein neues Hilfsprogramm in Aussicht. Wie das aussehen könnte, ist noch nicht bekannt.

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