Kinderheime in Münster völlig überfüllt
Lokalzeit Münsterland. 27.03.2024. 02:39 Min.. Verfügbar bis 27.03.2026. WDR. Von Heike Zafar.
Kinderheime in Münster völlig überfüllt
Stand: 27.03.2024, 06:00 Uhr
Die Zahl der gemeldeten Kindeswohlgefährdungen steigt. Wenn Kinder oder Jugendliche in Sicherheit gebracht werden müssen, geraten die Jugendämter immer häufiger an ihre Grenzen. Freie Plätze gibt es kaum noch.
Von Heike Zafar
Rung Phop (15) wird den Tag nicht vergessen, als er sein Elternhaus verlor. Sein Vater hatte ihm gesagt, sie führen in den Zoo. Stattdessen brachte er ihn in die Krisenanlaufstelle des Kinderheims St. Mauritz in Münster. "Und dann parkten wir da auf dem Gelände, mein Vater hat meine Koffer aus dem Auto geholt und gesagt: 'Das ist jetzt dein neues Zuhause'.'"
Rung Phop kam mit neun ins Heim
Damals, mit neun Jahren, war Rung Phop geschockt. Heute kann er verstehen, dass er nicht zu Hause bleiben konnte: Der Vater, damals krebskrank, habe ihn geschlagen, erzählt er. Er sei bald verstorben. Die Mutter sei nicht in der Lage gewesen, ihn alleine zu erziehen.
177 Minderjährige aus Familien geholt
Überforderung der Eltern ist der häufigste Grund, dass Kinder in Obhut genommen werden müssen. Das Jugendamt Münster hat allein im vergangenen Jahr 177 Kinder und Jugendliche aus ihren Familien geholt.
Dazu kamen, wie in vielen anderen Kommunen in NRW, viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die ebenfalls Betreuung und Hilfe brauchen. In Münster waren das 170.
Absagen trotz Notsituation
Inzwischen müssen die Mitarbeiter der Kinder- und Jugendhilfe-Einrichtungen landesweit immer häufiger absagen, wenn Jugendämter dringend ein Kind in Sicherheit bringen müssen. "Die Situation ist dramatisch", sagt Heimleiter Michael Kaiser vom Kinderheim St. Mauritz in Münster. "Wir müssen bis zu 40 Anfragen pro Woche ablehnen."
Michael Kaiser muss oft Anfragen ablehnen
Besonders schlimm sei es, wenn Kollegen in Rufbereitschaft ein Kind sofort aus der Familie nehmen müssten, aber nicht wüssten, wohin. Es gebe sogar Jugendämter, die ihre Mitarbeiter bitten, Kinder mit nach Hause zu nehmen.
In Ahaus ist das in einem Fall schon passiert. In Münster bislang noch nicht. Noch nicht, denn es sei nicht auszuschließen, dass Mitarbeiter Kinder in Zukunft mit nach Hause oder ins Hotel nehmen müssen, heißt es beim Jugendamt Münster.
Immer mehr intensive Betreuungsfälle
Grund für die angespannte Lage ist zum einen der Fachkräftemangel, das bestätigen fast alle Jugendämter im Münsterland bei einer Umfrage des WDR. Dazu gebe es immer mehr Kinder und Jugendliche, die besonders viel Betreuung brauchen. "Hochkomplexe Fälle von besonders herausfordernden jungen Menschen" heißt das im Fachjargon. Das erfordere besonders viel Personal.
Die Kinder sollen eigentlich nur wenige Monate in den Inobhutnahme-Stellen verbringen. Tatsächlich dauert es aber immer länger, bis Anschlussmöglichkeiten, etwa in Wohngruppen oder Pflegefamilien, gefunden werden.
Helfer: "System ist verstopft"
Verzögerungen gebe es auch durch aufwändige und lange Gerichtsverfahren, bei denen die weitere Unterbringung eines Kindes geklärt wird. "Das System ist verstopft" - da sind sich die Mitarbeiter der Einrichtungen einig.
Der fünfzehnjährige Rung Phop ist heute froh, dass er im Kinderheim St. Mauritz ein neues, vor allem sicheres Zuhause gefunden hat. Er lebt schon lange in einer Wohngruppe mit sieben weiteren Kindern und fühlt sich pudelwohl. "Ich würde mir wünschen, dass andere Kinder auch die Hilfe bekommen wie ich", sagt er. Doch die Lage hat sich seit damals deutlich verschärft.
Über das Thema berichtet die Lokalzeit am 27.03.2024 auch im WDR-Fernsehen.
Unsere Quellen:
- Reporterin vor Ort
- Kinderheim St. Mauritz Münster
- eigene Recherchen