Die Infektionszahlen wollen nicht sinken, Politiker zeigen sich alarmiert - wollen aber gleichzeitig über Weihnachten die Kontaktbeschränkungen lockern. Mancher Arzt hält das für unverantwortlich: In seinem Kreis beispielsweise gebe es "keinerlei Spielraum für Lockerungen an Weihnachten", sagt Thomas Voshaar, Chefarzt am Bethanien-Krankenhaus in Moers. Die Situation sei angespannt, die Covid-19-Station des Krankenhauses war zwischenzeitlich schon voll belegt.
Wenn sich zwischen Weihnachten und Neujahr Familien in größeren Gruppen treffen, sei ein Anstieg der Infektionszahlen nach Silvester unvermeidlich. Er appelliere an die Selbstverantwortung eines jeden, sagt Voshaar. Eigentlich gehört er zum Beraterteam von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Die Entscheidung für die Lockerungen an Weihnachten aber könne er nicht mittragen, sagt der Lungenarzt entschieden.
Beim Fest Maske tragen
Aber wie umgehen mit dem Risiko? Karl Lauterbach, Mediziner und SPD-Gesundheitspolitiker, gab im WDR-Fernsehen konkrete Tipps: "Ich würde so wenig Besuch veranstalten wie möglich." Außerdem sollte man vorher ein paar Tage in Quarantäne gehen - "auch fünf Tage helfen" - und die Einkäufe über mehrere Tage verteilen.
"Ich würde auch beim Fest eine Maske tragen, insbesondere, wenn alte Menschen dabei sind, und viel lüften." Jede halbe Stunde für drei Minuten, das reiche, um die Luft auszutauschen.
Was ist richtig, was falsch?
Während die Infektionszahlen bisher trotz Teil-Lockdowns kaum sinken und die Zahl der Toten schneller steigt als bisher, wachsen Ratlosigkeit und Verärgerung bei vielen angesichts der teils widersprüchlichen Strategien gegen die Pandemie. Schnelltests nur an ausgewählten Orten, Teil-Lockdown, befristete Ausnahmen - für viele wirkt das alles mittlerweile reichlich inkonsequent bis konzeptlos.
Fehlt es an der richtigen Strategie gegen die Pandemie? Fakt ist, dass Wissenschaftler und Virologen derzeit nur noch bedingt nachvollziehen können, wo und wie sich das Virus am schnellsten verbreitet und was sich dagegen tun lässt. So sind in NRW ganz unterschiedliche Regionen betroffen - über die Gründe lässt sich oft nur spekulieren.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisiert fehlende Lösungen in den Pflegeheimen, wo derzeit die Ansteckungsrate in die Höhe schnellt. "Warum konzentrieren wir uns nicht mit aller Macht dort, wo die Krise am härtesten zuschlägt, und setzen Prioritäten?", fragte der Vorsitzende Eugen Brysch im WDR5 Morgenecho. Seit zehn Monaten wüssten alle, "was auf uns zukommt". Dennoch sei das Problem bis heute nicht "angepackt".
Dass sich jetzt "alle Beteiligten an einen Impfstoff klammern wie an einen Messias", kritisert die Jenaer Ärztin und Kommunikationswissenschaftlerin Petra Dickmann in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Was vielmehr fehle im Umgang mit der Pandemie in Deutschland sei eine Langzeitstrategie.
"Menschen wie Unmündige behandelt"
Statt Lockerungen zu Weihnachten, die auch sie mit großer Sorge sehe, brauche es eine vernünftige Kommunikation zu den nötigen Maßnahmen. Doch die fehle derzeit ganz: Während alle mit Entscheidungen, Verordnungen, Logistik, Plänen und Schuldiskussionen beschäftigt waren, sei ein "Kommunikations-Vakuum" entstanden, so Dickmann in dem Interview. Es würde nicht ausreichend erklärt, weshalb einzelne Maßnahmen nötig sind und warum sie so beschlossen wurden. Die Menschen würden wie "Unmündige" behandelt, denen man vorschreiben wolle, wie sie Weihnachten zu feiern haben.
Asien: Grundkompetenz in Pandemie
Interessant ist der Blick nach Ost-Asien: In Ländern wie China, Japan oder Südkorea werden Maskenpflicht und andere Einschränkungen in der Bevölkerung offenbar deutlich besser akzeptiert, die Infektionszahlen sind oft auf niedrigem Niveau. In vielen asiatischen Ländern liege der gesellschaftliche Fokus weniger auf dem Individuum, sagt Dickmann: "Jeder weiß, dass er Rücksicht nehmen muss". Zudem hätten einige ostasiatische Länder bereits Erfahrung mit Pandemien – die Menschen dort hätten eine Art Grundkompetenz, die hierzulande noch fehle.