Der Politologe Marcus Maurer ist Professor für Kommunikationswissenschaft am Institut für Publizistik der Mainzer Universität. Sein Schwerpunkt liegt auf der politischen Kommunikation.
WDR: Erst verkündet Karl Lauterbach, Infizierte sollten sich freiwillig in Isolation begeben, dann soll es doch wieder Vorschrift werden, weil man sonst ein "verheerendes Signal" senden würde. Ein Zickzack-Kurs, der viele irritiert. Sie auch?
Marcus Maurer: Ja, das geht mir genauso. Das hat viel mit der Art zu tun, wie Lauterbach in sein Amt gekommen ist. Er hatte lange Jahre einen schweren Stand in der SPD und ist ja nur Gesundheitsminister geworden, weil er es geschafft hat, in der Pandemie zum Corona-Experten Nummer eins unter den Politikern aufzusteigen. Die SPD konnte am Ende gar nicht anders, als ihn zum Minister zu machen. Das macht seine jetzige Lage so schwer: Einerseits war er immer der Warner, der größtmögliche Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung vorgeschlagen hat. Dafür haben ihn viele Leute geschätzt. Andererseits ist er jetzt in einer Regierung mit der FDP, die immer das Gegenteil wollte: Größtmögliche Freiheit statt größtmöglicher Maßnahmen. So kommt dieser Schlingerkurs zustande.
WDR: Fehler zu machen und diese einzugestehen, ist menschlich. Das gilt in vielen Bereichen, aber wer das als Politiker macht, wird doch sehr kritisch beäugt - siehe auch Angela Merkels missglückte "Osterruhe" im vergangenen Jahr. Muss man an Politiker höhere Maßstäbe ansetzen?
Maurer: Natürlich haben wir sehr hohe Erwartungen, und viele Bürger - aber auch Journalisten - haben nicht das allerbeste Bild von Politikern. Da macht es dann unter Umständen auch Freude, wenn dieses negative Bild bestätigt wird, indem ein Fehler gemacht oder zugegeben wird. In diesem konkreten Fall ist es zumindest unglücklich, wenn man seine Meinung so schnell ändert. Das würde jedem angelastet, denke ich.
WDR: Als Lauterbach antrat, waren viele Leute froh, dass die Pandemie fortan von einem Mediziner gemanagt wurde statt wie zuvor von einem Bankkaufmann. Ist die fachliche Expertise am Ende aber gar nicht so entscheidend? Kommt es mehr darauf an, die politischen Abläufe und Anforderungen zu bewältigen, die das Amt und der Umgang mit den Koalitionspartnern mit sich bringt?
Maurer: Nein, ist sie nicht. Es ist schön, wenn jemand vom Fach ist, aber als Politiker steht Lauterbach ja nicht im Operationssaal und er betätigt sich auch nicht auf andere medizinische Art. Im Zweifelsfall ist es wichtiger, bestimmte politische Fähigkeiten zu besitzen. Kommunikationsfähigkeit, Kompromissfähigkeit, sich abstimmen zu können - das muss man alles mitbringen. Gerade Lauterbach muss da oft den Ausgleich finden zwischen der eigenen, eher wissenschaftlichen Position und der politischen Realität in einer Koalition.
WDR: Lauterbach hat seine Kehrtwende in der Quarantäne- und Isolations-Frage in einer Talkshow verkündet und nachts um 2.37 Uhr via Twitter weiter ausgeführt. Ist das der richtige Weg, solche Entscheidungen zu kommunizieren?
Maurer: Ehrlich gesagt wundert es mich, dass Herr Lauterbach überhaupt noch in so vielen Talkshows sitzt. Man dachte ja, dass das abnimmt, wenn er Minister ist und dabei durchaus auch andere Dinge zu tun haben dürfte. Aber gefühlt sitzt er immer noch jede Woche in einer Talkshow, dazu kommt Twitter, und Interviews gibt er auch noch. Natürlich ist Kommunikation in der Politik wichtig. Aber muss die unbedingt in Talkshows und mit ein paar Zeichen auf Twitter stattfinden? Vielleicht würde man von einem Minister etwas weniger Kommunikation und etwas mehr Sacharbeit erwarten. Zumindest aber sollten politische Entscheidungen eher im Parlament als in Talkshows verkündet werden.
WDR: Zuletzt sagte Lauterbach, die Arbeit als Minister sei härter und belastender, als er sich das vorgestellt hatte. Ist es schlau, das öffentlich zu machen? Lässt ihn das nicht schwach und latent überfordert wirken?
Maurer: Ich finde diese Aussagen erstaunlich. Wenn man so lange in der Politik ist wie er, sollte man schon auch mal mitbekommen haben, wie anstrengend ein Ministerposten oft ist. Hier über die Belastung zu klagen, wirkt sehr ungeschickt. Denn am Ende zwingt ihn ja keiner, das zu tun.
Das Interview führte Ingo Neumayer.