Drogenkonsumraum Essen: "Wir retten hier Leben"
Stand: 07.06.2023, 20:08 Uhr
Eine Mahlzeit, saubere Spritzen, ärztliche Versorgung - bei der "Suchthilfe direkt Essen" geht es um die Rundumversorgung von Drogenabhängigen und Suchtgefährdeten. Ein Tag zwischen Heroin und Kokain.
Von Antonia Rüller
Da ist die hagerere Frau, die sich an der Stuhllehne festhält, nachdem sie sich einen Schuss gesetzt hat. Der dunkelgelockte Mann, der sich beim Auspusten des Heroinrauchs im Spiegel betrachtet. Der jugendliche Typ, der den Gürtel am Oberarm löst, während ihm Blut den Arm herunterläuft.
Das sind die Klienten der Suchthilfe direkt in Essen. Manchmal kommen sie mehrmals die Woche, manchmal ein paar Monate nicht. Die meisten kennt Mitarbeiterin Charleen Schnasse mit Namen. Sie studiert Soziale Arbeit und ist seit sieben Jahren als Werkstudentin im Konsumraum.
"Hallo, was brauchst du?" - "Einmal Weißes spritzen." - "Welche Nadel?" - "Egal!" Es ist Mittag. Immer wieder kommt jemand und braucht sauberes Besteck, setzt sich in den durch eine Glasscheibe getrennten Konsumraum für den sichereren Rausch. Dafür ist Charleen da. Sie checkt die Personen ein und aus, registriert sie im System. Sie hat ein Auge auf die Süchtigen.
Mitarbeiterin: "Das ist halt auch Teil des Lebens"
Konsumräume wurden erfunden, um Drogenabhängigen zumindest die Möglichkeit zu bieten, sich den regelmäßigen Schuss unter hygienischen, sicheren Bedingungen zu schaffen. Das Besteck ist desinfiziert, damit sich niemand mit HIV oder Hepatitis C infiziert oder eine Blutvergiftung bekommt.
Im Drogenkonsumraum in Essen darf legal konsumiert werden, aber weder gedealt noch geteilt werden. Um das zu tun, gehen die meisten Junkies einfach ein paar Meter weiter Richtung Hauptbahnhof. Einige sitzen vor dem Gebäude, sie trinken Bier, unterhalten sich – wie gute Kollegen.
Insgesamt können in Essen 13 Personen gleichzeitig in den Konsumraum. Anfang des Monats sind nicht selten alle Plätze belegt. Durch die Glasscheibe wirft Maria Dedic diskrete Blicke auf die Süchtigen. Jung und Alt, sitzend und stehend, blutend und hustend. "An den Anblick muss man sich gewöhnen. Aber es gehört dazu. Das ist halt auch Teil des Lebens", erzählt die Mitarbeiterin.
"Und da schaut keiner, ob die noch atmen."
Der Drogenkonsumraum in Essen
"Wir behandeln die Süchtigen hier auf Augenhöhe. Die erzählen uns ihre Lebensgeschichten. Da wundert es einen manchmal nicht. Manche wurden schon drogenabhängig geboren", erzählt die 41-Jährige. Sie ist medizinische Fachangestellte, wenn es zu einem Notfall kommt, weiß sie, was zu tun ist. Und das passiert so fünfmal im Monat. Dann kommt der Krankenwagen – im besten Fall wird ein Leben gerettet.
"Klar ist, dass viele die hier hinkommen, wahrscheinlich tot wären, wenn es das hier nicht gäbe." Sie trägt einen neuen frischen Desinfektionseimer in den Raucherraum. Ein Wolke essigriechendes, verbranntes Heroin kommt mit ihr zurück. "Die Menschen, die hier hinkommen, die wären sonst irgendwo am Hauptbahnhof. Und da schaut keiner, ob die noch atmen."
Sebastian sammelt den Müll.
Einer von denen, auf die sonst keiner schaut, ist Sebastian. "Ein ganz lieber Typ, schlimmes Schicksal", sagt Maria Dedic. Er sammelt vor dem Gebäude den Müll auf, das ist jetzt sein Job bei der Suchthilfe. 20 Jahre hat er auf der Straße gelebt, seit anderthalb Wochen wohnt er in einer Wohnung. Seitdem er nach Essen gekommen ist, geht es Berg auf, sagt er. "Die Suchthilfe ist eine sehr gute Sache. Die haben mich sehr gut empfangen", erzählt der 35-Jährige und streift sich mit der tätowierten Hand über die schwitzende Stirn.
Mehr Kommunikation kann Probleme lösen
Für Sebastian war es ein Zufall, dass es ihn zur Suchhilfe verschlagen hat. Damit das Angebot aber an die Drogenabhängigen kommt, gibt es Streetworker wie Josefine Marx. Wenn sie nicht gerade auf der Straße ist, sitzt sie im Büro, eine Etage über dem Konsumraum.
Sie sagt, es brauche viel mehr fortschrittliche Programme wie dieses. Mehr Kommunikation mit Politikern, die den Erfahrungen der Streetworker vertrauen. Erst dann könne sich was ändern. Bis dahin gibt es noch viel zu tun, um Süchtigen zu helfen, einen Weg zurück ins Leben zu finden. Aber ein bisschen Mut macht das Programm in der Hoffnungstraße 24 in Essen bei der Suchthilfe direkt.