Selbstverteidigung für Menschen mit Sehbehinderung in Bochum
Stand: 28.05.2024, 07:59 Uhr
Seit drei Monaten gibt es in Bochum einen Selbstverteidigungskurs für Menschen mit Sehbehinderung. Die Teilnehmenden fühlen sich seitdem selbstbewusster, sicherer und auch Freundschaften sind entstanden.
Von Ann-Kristin Pott
Bevor der Selbstverteidigungskurs losgeht, legt Trainer Achim Vohl ein blaues Seil auf den Mattenboden - als Absturzsicherung zu einer Stufe: "Die Teilnehmenden sehen teilweise schlecht, wir trainieren barfuß und ich hab die Hoffnung, wer drauftritt, merkt: Da ist die Stufe".
An diesem Abend ist die Gruppe zu Acht, zwei davon ohne Sehbehinderung. Achim Vohl vermittelt Techniken aus dem Jiu-Jitsu, einer japanische Kampfkunst. Aber erst wärmen sich alle auf. Achim stellt einen Timer, damit alle gleichzeitig starten. Liegestütze, Sit-Ups, Plank - die Übungen macht jeder im eigenen Tempo.
Übungen aus dem Jiu-Jitsu
Im Kurs werden erst die Übungen aus der vergangenen Woche wiederholt, danach kommt neuer Input. Trainer Achim macht die Übung zusammen mit Tim vor. Er unterstützt Achim beim Training. Achim beschreibt die Techniken ganz genau, Schritt für Schritt, denn die meisten können nur noch Umrisse oder gar nichts sehen.
Die Teilnehmenden müssen sich jetzt selbst aus einem Würgegriff befreien. Helen greift Julia von hinten um den Hals. Julia zieht den Arm mit voller Kraft herunter, hält ihn fest und windet sich rückwärts unter der Achsel der Angreiferin hindurch. Bei Fragen hilft Achim. Für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist es hier ein geschützter Raum.
Trainer Achim zeigt Julia und Helen Jiu-Jitsu Techniken
Zimperlich darf man nicht sein, die Übungen können auch ab und an schmerzhaft sein, manchmal gehen die Teilnehmenden mit blauen Flecken nach Hause. Das gehört aber dazu, sagt Julia. "Wir lernen Hemmungen abzubauen, natürlich möchte ich hier niemandem wehtun, aber man lernt zu unterscheiden: wenn es drauf ankommt, geht es um Schmerz".
Lange nach Selbstverteidigungskurs gesucht
Die Idee zu dem Kurs hatte Dirk Trautmann. Auch er hat eine Sehbehinderung und schon Workshops zum Thema gemacht, aber in Bochum hat er so einen Kurs nicht gefunden. Bis er den Jiu-Jitsu-Trainer Achim Vohl kennenlernt. Die beiden entscheiden: Wir organisieren selbst einen Selbstverteidigungskurs für Menschen mit Sehbehinderung.
Zainab macht beim Selbstverteidigungskurs mit
Zainab und Julia waren von Anfang an dabei. Sie haben lange nach so einem Kurs gesucht - aber keinen gefunden, der auf die Bedürfnisse von Menschen mit Sehbehinderung ausgerichtet ist. Beide haben schon Übergriffe erlebt, daher ist der Selbstverteidigungskurs für sie ein wichtiges Anliegen.
Und das ist Zainab nicht abends oder in dunklen Gassen passiert, sondern am Tag, in der Innenstadt oder an Bahnhöfen, wenn andere Menschen um sie herum waren. Die 34-Jährige hat gemerkt, dass sie sich in solchen Momenten nicht auf die Hilfe anderer verlassen kann und entschieden, einen Selbstverteidigungskurs zu machen.
Sicherheit und Selbstbewusstsein
In den drei Monaten, in denen der Kurs läuft, bemerken einige schon eine Veränderung. "Der Kurs gibt Selbstbewusstsein und Vertrauen. Dass man weiß: Ich bin nicht ganz hilflos", sagt Dirk. Julia hat dadurch weniger Angst und "sehr viel Sicherheit und Vertrauen in mich selber, dass ich eine Idee habe, wie ich mich retten könnte".
Dass der Kurs gemischt ist – mit sehenden und nicht sehenden Teilnehmenden, findet Julia nicht schlimm: "Mir war es anfangs wichtig, dass mehr Sehbehinderte und Blinde an dem Kurs teilnehmen, damit er auf unsere Schwierigkeiten angepasst wird. Aber die Unterstützung der voll Sehenden ist auch eine Hilfe".
Gegenwehr: Sehbehinderte lernen Selbstverteidigung
Lokalzeit Ruhr. 17.04.2024. 09:34 Min.. Verfügbar bis 17.04.2026. WDR. Von Nastaran Amirhaji.
Unsere Quellen:
- WDR-Reporterin vor Ort
- DBSV Westfalen/Nordrhein
- BuDo Sportclub Linden
Über dieses Thema haben wir am 17.04.2024 im WDR-Fernsehen in der Lokalzeit Ruhr berichtet.