Rollentausch beim "Schichtwechsel" schafft neue Perspektiven
Stand: 12.10.2023, 18:30 Uhr
Tom arbeitet in einer Eissporthalle, Lea in einer Duisburger Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Beide sind fast gleichalt, doch Berührungspunkte haben sie im beruflichen Alltag nicht – wenn da nicht die bundesweite Aktion „Schichtwechsel“ wäre.
Von Ralph Brix
Für Lea Stieler ist es ein besonderer Tag. Seit gut einem Jahr arbeitet die 25-Jährige in der Kleinteilemontage der Duisburger Werkstatt für Menschen mit Behinderung GmbH. Heute soll sie Tom Södler einarbeiten. Der 26-Jährige ist eigentlich Geschäftsführer der nahen Eissporthalle, will heute aber mal den gleichen Job wie Lea machen.
Lea Stieler und Tom Södler
Auf einem großen Tisch vor ihnen liegt ein riesiger Haufen kleiner Plastiktütchen mit Hundeknabbereien. Die gilt es, in Versandkartons zu verpacken und zwar zehn Tüten je Karton. Lea erklärt ihrem Tagespraktikanten geduldig, wie man‘s richtig macht.
Neue Perspektiven für mehr Teilhabe
Die Aktion „Schichtwechsel“ hat sich die Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e.V. ausgedacht. Ziel ist es einerseits, der Öffentlichkeit zu zeigen, was die Mitarbeiter leisten können. Doch die Aktion ist keine Einbahnstraße. Nach der Mittagspause wird Tom Lea seinen Job zeigen: der Spieß wird umgedreht.
Pro Jahr fünf Menschen in den ersten Arbeitsmarkt
Die Duisburger Werkstatt möchte jährlich bis zu fünf ihrer 1.100 Schützlinge in einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt vermitteln. Ein Großteil ist aufgrund der Schwere der Behinderung nicht geeignet dafür. Doch viele körperlich, geistig oder psychisch eingeschränkte Menschen könnten durchaus in der freien Wirtschaft arbeiten: zum Beispiel in der Gastronomie oder im Garten- und Landschaftsbau.
Potenzial oft verkannt
Ein Problem sei, dass viele Unternehmen das Potenzial von Menschen mit Behinderungen noch nicht erkannt haben. Die Betroffenen selbst hätten zudem Vorbehalte, weiß Mareike Lieven von der Duisburger Werkstatt: „Das gewohnte Umfeld zu verlassen, ist oft die größte Hürde.“ Viele ihrer Schützlinge hätten regelrecht Angst davor, eine neue Arbeit anzunehmen.
Lea on Ice
Nicht so Lea. Vor einem Jahr hat sie mal ein Praktikum in einem Friseur-Salon gemacht. Doch die Arbeit hatte ihr nicht gefallen.
Lea steuert den Eiswagen
Nun steht sie mit Tom in der Eissporthalle, und ihr Herz schlägt höher, als der ihr mitteilt, sie solle nun die Eismaschine fahren. Nervös setzt sich auf den Fahrersitz und startet das Ungetüm unter Toms Anleitung. Als die Hupe durch die Arena hallt, ist klar: Lea genießt es: „Erst hatte ich Muffe. Doch dann hat es Spaß gemacht.“ Sie muss lachen: „Ein Job ist das für mich aber nicht.“
Voneinander lernen
Darum geht es beim Schichtwechsel auch nicht. Wichtig ist, dass die Beteiligten mal einen Perspektivwechsel erleben: „Ich wusste vorher nicht, was in der Werkstadt gemacht wird. Das habe ich jetzt heute gesehen, und das hat mich wirklich beeindruckt.“, sagt Tom Södler.
Ende eines Schichtwechsels
Nach sechs Stunden ist die gemeinsame Schicht der beiden jungen Leute beendet. Tom kümmert sich wieder um den Eissport. Und Lea fängt bald ein Praktikum bei einem großen Möbelhaus an in der Hoffnung auf eine Festanstellung.