Dem Vorsitzenden Richter Kelm war schon vor dem Abspielen der Tonaufzeichnung klar, dass es vermutlich für die beiden Brüder von Mouhamed Dramé, die am Prozess als Nebenkläger teilnehmen, emotional werden könnte. Kelm wies darauf hin, dass in der Aufzeichnung auch die tödlichen Schüsse aus einer Polizei-Maschinenpistole zu hören sind.
Nach einer kurzen Nachfrage von Nebenklageanwältin Lisa Grüter an die Brüder Sidy und Lassana Dramé war klar: Die beiden wollen die Aufzeichnung hören.
In dem Mitschnitt sind vor allem zwei Personen zu hören: Alexander Gast, der Leiter der Jugendeinrichtung, in der Mouhamed Dramé untergebracht war, und ein Polizist, der den Notruf entgegen nahm.
Einrichtungsleiter spricht minutenlang im Notruf mit der Polizei
Aufgeregt schildert Gast die Lage. Er spricht sehr schnell: Ein Jugendlicher wäre im Innenhof. Halte sich ein Küchenmesser an den Bauch und reagiere nicht auf Ansprachen. Dann folgen Nachfragen des Polizisten: "Wie alt ist der?" "16", antwortet Gast. Ob der Deutsch sprechen würde? "Französisch und Spanisch."
Alexander Gast, Leiter der Jugendeinrichtung
Gast ist inzwischen etwas ruhiger und beschreibt, wo genau sich Dramé befinden würde. In einer Ecke, "hinter der Kirche vor dem Zaun. Da sind so Zacken drauf. Da kommt man nicht unverletzt drüber." In den Innenhof käme man nur durch das Tor.
Gast berichtet im Notruf auch, dass Dramé zwei Tage zuvor in einer psychiatrischen Klinik war. Die Polizei hätte ihn dort hingebracht, weil Dramé suizidale Gedanken geäußert hätte. Währenddessen sind sowohl Polizisten in Uniform als auch in Zivil auf dem Weg.
Noch einmal schildert der Einrichtungsleiter dann genau, wo sich der 16-Jährige im Innenhof aufhält und dass er Französisch und Spanisch sprechen würde. "Sehr gut und sehr hilfreich", antwortet der Polizist Gast. Das würde den Polizisten vor Ort helfen.
Situation im Innenhof eskaliert
Die sind inzwischen im Innenhof. "Die klären gerade auf und einer redet mit dem schon", erzählt Gast. Der Polizist fragt in die Leitstelle: "Notruf weiter halten?" Gast sieht währenddessen Polizeikräfte mit Tasern hantieren: "Wird der getasert, der Arme?" fragt er sein Gegenüber. Der Polizist erklärt ihm, dass das durchaus eine Möglichkeit wäre.
In sehr schneller Abfolge hört man, dass Schüsse fallen. Geschrei ist auf der Aufzeichnung zu hören, aber nicht genau zu verstehen. "Meine Güte", sagt Gast noch. Dann wird der Notruf beendet.
Im Gerichtssaal schließt Sidy Dramé die Augen. Er hat gerade gehört, wie sein jüngerer Bruder mit einer Maschinenpistole erschossen wurde. Tränen laufen sein Gesicht herunter. Er braucht ein Taschentuch. Seine Anwältin fragt ihn, ob er den Saal verlassen möchte, Sidy Dramé schüttelt aber den Kopf.
Sidy und Lassana Dramé zwischen ihrer Anwältin Lisa Grüter und einem Dolmetscher (Archivfoto)
Der Verhandlungstag endet eh kurze Zeit später, nachdem noch kurze Ergänzungen zu einem Gutachten des Taser-Einsatzes.
Der Prozess wird voraussichtlich noch bis zum Ende des Jahres dauern. Dabei soll geklärt werden, ob der Einsatz gegen Mouhamed Dramé rechtmäßig war. Angeklagt sind fünf Polizistinnen und Polizisten. Bis zu einem rechtskräftigen Urteil gilt die Unschuldsvermutung.
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