Pressekonferenz im Essener Ruhrturm zur neuen Missbrauchsstudie des Bistums Essen

Missbrauchsstudie: Bistum Essen zeigt sich selbstkritisch

Stand: 14.02.2023, 16:48 Uhr

Das Ruhrbistum hat eine Studie über sexualisierte Gewalt im Ruhrbistum vorgestellt. Dabei ging es nicht um neue Fälle, sondern um die Entstehung des Missbrauchs und den späteren Umgang damit.

"Es wurde viel vertuscht, wurde viel kleingeredet, durch Versetzungen und Lügen auch verheimlicht. Und es ist den Betroffenen unglaubliches Unrecht widerfahren", so bringt Ruhr-Bischof Franz-Josef Overbeck den Tenor der Studie auf den Punkt.

Porträtbild, Franz-Josef Overbeck im Gespräch

Ruhr-Bischof Franz-Josef Overbeck

Die am Dienstag (14.02.) in Essen vorgestellte Studie sollte vor allem sozialwissenschaftlich und nicht juristisch die Frage klären, wer und was die Taten ermöglicht und geduldet hat – speziell in den Pfarrgemeinden.

Forschende nennen neue Zahlen – auch von Betroffenen

Dazu stellte das Bistum zunächst Zahlen vor, für deren Erhebung das Ruhrbistum Essen das Münchener Institut für Praxisforschung und Projektberatung (kurz IPP) beauftragt hatte.

Demnach habe es im Bistum Essen seit der Gründung 1958 mindestens 423 Fälle und Verdachtsfälle von sexualisierter Gewalt gegeben. 201 Personen seien beschuldigt, darunter 129 Geistliche und 19 Ordensfrauen, heißt es weiter.

In einer anderen, älteren Studie für die Essener Diözese von 2018 war noch von 60 beschuldigten Geistlichen sowie 85 Betroffenen seit der Gründung des Bistums die Rede.

Geheimakten ausgewertet und Betroffene befragt

Laut IPP hatten sich 226 Betroffene gemeldet. 120 stellten einen Antrag auf Zahlung in Anerkennung des Leids. Rund ein Viertel der Betroffenen sind Frauen.

Die Forschenden hatten seit März 2020 alle Personalakten einschließlich der Geheimakten seit der Bistumsgründung ausgewertet und zahlreiche Interviews mit Betroffenen, Experten und Führungskräften des Bistums geführt.

Missbrauch-Opfer berichten über jahrelanges Leid

Eines der Missbrauchs-Opfer ist Wilfried Fesselmann. Er war bei der Vorstellung der Studie anwesend. Als Zehnjähriger war er missbraucht worden. Nachdem er das öffentlich gemacht hatte, erlebte er in der Jugendgruppe seiner Gemeinde weitere Gewalt.

"Da konnte ich nicht mehr hingehen", berichtet Fesselmann. Tenor in der Gruppe sei damals gewesen: "Der Wilfried ist dafür verantwortlich, dass unser geliebter Kaplan weg ist. Dann bin ich verprügelt worden, die haben mich festgehalten und mit einer Karnevalspistole ins Ohr geschossen, dass ich wochenlang nichts hören konnte.“

Erst, nachdem Wilfried Fesselmann mit seiner Familie in einen anderen Stadtteil gezogen war, habe der Alptraum ein Ende gehabt.

Auch andere Betroffene berichteten bei der Pressekonferenz darüber, wie sich der Missbrauch noch immer auf ihr Leben auswirkt. Stephan Bertram arbeitete aus der Opferperspektive an der Studie mit. Der 59-Jährige ist Elektriker, aber seit Jahren krankgeschrieben. "Mein Leben ist für mich verkorkst", so Bertram.

Studie empfiehlt mehr Beratungsstellen

Zu Fesselmanns Erzählungen passt das zentrale Ergebnis der Studie: Die Kirche habe auch im Bistum Essen zu lange zu wenig für die Missbrauchs-Opfer getan und sich zu sehr auf den Schutz der Institution und der Täter konzentriert.

Für die Zukunft empfehlen die Wissenschaftler, dass die Kirche mehr Beratungsstellen als bisher anbietet, Kirchengemeinden besser unterstützt und Initiativen von Betroffenen mehr Geld zur Verfügung stellt.

Bischof will System umbauen

Die kirchliche Reformbewegung "Maria 2.0" fordert schon lange Konsequenzen. Vertreter der Bewegung demonstrierten in Essen, während die Studie vorgestellt wurde. Auch die Laien aus dem Diözesanrat fordern personelle Konsequenzen. Außerdem sagt das Gremium: "Die ungleiche Macht- und Gewalteinteilung und die völlige Überhöhung des Priestertums müssen beseitigt werden."

Mehrere Menschen halten vor dem Essener Ruhrtum ein Transparent hoch

Die Reformbewegung "Maria 2.0" mit einer Mahnwache vor dem Essener Ruhrturm

Franz-Josef Overbeck wollte zu personellen Konsequenzen nichts sagen. Der Bischof sagte lediglich, es reiche nicht, einzelne an den Pranger zu stellen – er wolle das ganze System Kirche beim Umgang mit sexualisierter Gewalt stärker aufstellen.