Isra Sabir steht vor dem Haus in Hochfeld, in dem sie bis vor zwei Wochen gewohnt hat - ein schicker Altbau mit weißer Stuck-Fassade. Nach Ansicht der Stadt weist dieses Haus allerdings erhebliche Sicherheitsmängeln auf - ein Fall für die sogenannte Taskforce Problemimmobilien. Sie hat die Immobilie vor zwei Wochen geräumt.
Isra Sabir ist immer noch geschockt darüber, was hier passiert ist. Innerhalb von zwei Stunden mussten sie und die anderen Mieter des Hauses ihre Habseligkeiten packen. Seit der Räumung wohnt Isra Sabir mit ihrem Mann und den fünf Kindern in einer Notunterkunft.
Notunterkunft nicht für Kinder mit Behinderung geeignet
"Niemanden interessiert, dass zwei Kinder eine Behinderung haben. Wir wohnen mit sieben Menschen in einem Zimmer", sagt die Mutter. Sie zeigt Handyvideos, auf denen die Familie zu sehen ist, wie sie auf dem Boden isst. Es gibt zu wenige Stühle in der Notunterkunft in der Memelstraße, kein behindertengerechtes Bett und keine Badewanne, um das Kind, das im Rollstuhl sitzt, zu baden.
Zwei Wochen nach der Räumung dürfen sie und andere Mieter noch mal in ihre Wohnungen, um Wäsche zu waschen und sich zu duschen. Mit dabei ist auch Lena Wiese vom Verein der solidarischen Gesellschaft der Vielen. Sie begleitet seit drei Jahren Familien, die nach einem Taskforce-Einsatz ihre Wohnungen räumen mussten.
Die Stadt verteidigt ihr Vorgehen
Sie kritisiert das Vorgehen der Stadt scharf: "Das Eingreifen der Taskforce ist unverhältnismäßig und auch kindeswohlgefährdend. Außerdem werden keine Perspektiven geschaffen. Hier passiert eine Zwangsräumung in die Obdachlosigkeit und in die Mittellosigkeit", sagt Lena Wiese.
Die Stadt reagiert auf die Vorwürfe: "Wir lassen die Betroffenen im Ernstfall nicht alleine, Sozial- und Jugendamt stehen immer bereit, um unmittelbar zu unterstützen. Das betrifft auch die Suche nach Ersatzwohnraum im Anschluss an eine kurzfristige Unterbringung in einer Notunterkunft", heißt es in einem schriftlichen Statement.
Bei der Wohnungsräumung sollen laut Lena Wiese aber keine Jugendamtsmitarbeiter anwesend gewesen sein, auch in der Notunterkunft habe noch niemand mit der Familie Kontakt aufgenommen. Für die Menschen, die oft aus Osteuropa kommen und noch nicht ausreichend gut Deutsch sprechen, sind die bürokratischen Hürden hoch.
Vor allem verstehen sie aber nicht, warum sie aus den Häusern müssen. "Können wir jetzt bald zurück oder nicht? Wir wissen nicht, wie es weitergeht", sagt eine weitere Mieterin vor dem Haus in Hochfeld. Sie ist mit ihren Kindern in einem kleinen Zimmer über ihrer Bäckerei untergekommen. Keine Dauerlösung.
Vermieter kümmern sich nicht
"Es gibt zu wenige Wohnungen auf dem Markt und Familien mit Kindern haben es richtig schwer, eine neue zu finden", sagt Lena Wiese. Die wenigen Häuser, die nach einer Sanierung wieder freigegeben werden, sind für diese Familien nicht mehr bezahlbar.
In den letzten acht Jahren hat die Task Force Problemimmobilien der Stadt 81 Häuser wegen Brand- und Sicherheitsmängeln geschlossen. Trotz mehrfacher Aufforderung würden die Eigentümer nicht tätig, so die Stadt.
Oft sitzen die Besitzer im Ausland, lassen die Menschen unter schlimmen Bedingungen in den Wohnungen wohnen. Um Leib und Leben zu retten, so die Stadt, müsse sie die Häuser räumen.
Für Isra Sabir in der aktuellen Lage nur ein schwacher Trost. Sie hofft, dass sie bald mit ihrer Familie wieder ein neues Zuhause findet.