Krankenwagen und Polizei am Tatort in Dortmund (Polizei erschießt 16-Jährigen Mouhamed Dramé, 08.08.2022)

Tödliche Schüsse in Dortmund: Tonaufnahme aufgetaucht

Stand: 02.09.2022, 17:19 Uhr

Im Fall des bei einem Polizeieinsatz getöteten 16-Jährigen in der Dortmunder Nordstadt gibt es neue Erkenntnisse. Der Staatsanwaltschaft liegt eine möglicherweise entscheidende Tonaufnahme vor.

Von David Peters und Samuel Acker

Bei der Tonaufnahme handelt es sich um den Mitschnitt eines Notrufs. Den hatte ein Betreuer der Jugendeinrichtung abgesetzt, in der der 16-jährige Mouhamed Dramé untergebracht war. Weil der Jugendliche mit einem Messer in dem Innenhof der Einrichtung stand, rief der Betreuer die Polizei.

Das Telefonat zwischen dem Betreuer und der Leitstelle der Polizei lief weiter, als der Einsatz im Hof eskalierte. Mouhamed Dramé soll sich das Messer vor den Bauch gehalten haben, möglicherweis um sich selbst zu töten.

Tonaufnahme könnte zeitlichen Ablauf aufklären

In einem Bericht des Innenministeriums heißt es, dass die Polizisten Pfefferspray und sogenannte Taser gegen den 16-Jährigen einsetzten. Dann schoss einer der Beamten mit einer Maschinenpistole auf den Jungen. Die Schüsse sind auch im Telefonat des Betreuers zu hören.

Der Dortmunder Oberstaatsanwalt Carsten Dombert hofft nun, dass durch eine Auswertung dieser Tonaufnahme durch das Bundeskriminalamt die zeitlichen Abläufe des Einsatzes aufgeklärt werden können. Auf der Aufnahme seien auch Gesprächsfetzen des Einsatzes zu hören, so Dombert.

Wurde der Getötete gewarnt?

Strittig ist auch die Frage, ob der 16-Jährige von der Polizei aufgefordert wurde, das Messer wegzulegen und in welcher Sprache das geschehen ist. Auch da könnte die Aufnahme des Notrufs helfen. In dem Bericht des Innenministeriums heißt es: "Dass der Getötete von den Polizeibeamten zum Weglegen des Messers aufgefordert wurde, haben die Ermittlungen nicht ergeben."

Staatsanwaltschaft: Einsatz war unverhältnimäßig

Die Ermittlungen gegen die eingesetzten Polizisten wurden inzwischen ausgeweitet. Sie richteten sich zuerst nur gegen den Schützen, jetzt auch gegen vier weitere Beamten. Das hätte sich durch Zeugenaussagen ergeben, so Oberstaatsanwalt Dombert. "Wir gehen davon aus, dass der Einsatz, so wie er abgelaufen ist und zwar von Beginn an, nicht verhältnismäßig war." Dadurch hätte sich ein Anfangsverdacht gegen die Polizisten ergeben.

Dombert stellt aber auch klar, dass die Unschuldsvermutung gilt und äußert einen Wunsch: "Ich möchte nicht, dass dieses Verfahren zum Anlass genommen wird, zehntausende Polizeibeamte, die in Nordrhein-Westfalen für unsere Sicherheit sorgen, in Misskredit zu bringen." Das würde deren Arbeit nicht gerecht werden, so der Oberstaatsanwalt.

SPD beantragt Sondersitzung

Am Freitag gab es zudem weitere landespolitische Reaktionen auf die neuen Erkenntnisse zum tödlichen Dortmunder Polizeieinsatz. Die SPD im NRW-Landtag hat eine Sondersitzung des Rechtsausschusses beantragt.

SPD-Fraktionsvorsitzender und Oppositionsführer Thomas Kutschaty sagte dem WDR, die neue Berichtslage werfe viele neue Fragen auf. "Nach dem Einsatz von Reizgas ist die Sache offensichtlich erst richtig eskaliert." Man müsse auch die Frage stellen, ob die Polizeibeamtinnen und -beamten in NRW ausreichend für Situationen mit psychisch auffälligen Personen geschult seien.

Grüne bei Tasern in schwieriger Position

In einer gewissen Zwickmühle befinden sich die mitregierenden Grünen in NRW. Der Zwischenbericht des Innenministeriums zeigt, dass wohl auch der Gebrauch von Tasern beim Polizeieinsatz in der Dortmunder Nordstadt die Lage nicht deeskalieren konnte.

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In ihrem Programm zur Landtagswahl im Mai hatten die Grünen den Einsatz der Elektroimpulsgeräte bei der Polizei – außer für Spezialkräfte - noch klar abgelehnt. Im Koalitionsvertrag mit der CDU einigten sich die Parteien dann darauf, im Jahr 2024 zu evaluieren, wie hilfreich – oder auch nicht – der Einsatz von Tasern für die NRW-Polizei ist.

Schäffer: Taser kein "Allheilmittel"

Grünen-Fraktionsvorsitzende Verena Schäffer sagte heute dem WDR, dass die Grünen immer wieder verschiedene Probleme beim Taser angesprochen hätten. Der Taser sei, "wenn überhaupt", nur für statische Situationen anwendbar – also nicht in Situationen, in denen sich die Zielperson bewegt.

Zudem sei es so, "dass bei einem Taser die Beamtinnen und Beamten so gut geschult sein müssen, dass der Taser wirklich auch trifft, damit er seine Wirkung entfalten kann." Der Taser sei "nicht ein Allheilmittel", so Schäffer, und es sei daher richtig, dass im Koalitionsvertrag eine Evaluierung der Elelektroimpulsgeräte vereinbart wurde.