Die Ermittlungen nach den tödlichen Polizeischüssen auf einen 16-Jährigen in Dortmund sind ausgeweitet worden. Dies geht aus einer am Donnerstag veröffentlichten Vorlage von Innenminister Herbert Reul (CDU) an den Innenausschuss des NRW-Landtags hervor.
Die Prüfung, ob der Polizeibeamte, der die Schüsse aus der Maschinenpistole auf den jungen Senegalesen abgegeben hat, des Totschlags verdächtig ist, dauert demnach nach wie vor an. Darüber hinaus seien Ermittlungen gegen "alle übrigen Polizeibeamten eingeleitet worden, die während des Einsatzes Waffen oder Einsatzmittel gegen den Jugendlichen eingesetzt haben". Dabei handelt es sich demnach um eine Polizeibeamtin, "die das Reizstoffsprühgerät (RSG 8) verwendet und den Jugendlichen mit Reizstoff besprüht hat" sowie eine Polizeibeamtin und einen Polizeibeamten, "die das Distanz-Elektroimpulsgerät (DEIG) gegen den Jugendlichen eingesetzt haben, jeweils wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt".
Ermittlungen auch gegen Einsatzleiter
Außerdem wird ermittelt gegen den polizeilichen Einsatzleiter, "der den Einsatz des Reizstoffsprühgeräts angeordnet und auch weitere Anordnungen zum Einsatzablauf getroffen hat, wegen Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung im Amt".
Nach aktuellem Stand lief der 16-Jährige mit dem Messer auf die Beamten zu. Der Polizist schoss mit seiner Maschinenpistole sechs Mal. Bisher hieß es, dass fünf Schüsse den Jugendlichen im Gesicht, am Unterarm, in den Bauch und zwei Mal in die Schulter trafen. Der Obduktion zufolge wurde er aber viermal getroffen. Er starb später im Krankenhaus. Neu ist auch, dass zwölf Beamtinnen und Beamte an dem Einsatz beteiligt waren, darunter vier in Zivil. Bisher ging man von elf Einsatzkräften aus.
Breite Kritik an Polizeieinsatz
Mehrere Punkte des Einsatzes sorgen seit Wochen für Kritik. Dabei ging es etwa um die Tatsache, dass die Bodycams der Polizisten nicht eingeschaltet waren. Auch dass mehrere Schüsse aus einer Maschinenpistole auf einen offenbar suizidalen Jugendlichen gefeuert wurden, sorgte für Bestürzung. In NRW gehören seit Juli 2018 zwei Maschinenpistolen des Typ MP5 in jedem Funkstreifenwagen zur Ausrüstung.
Fragen warf außerdem auf, dass der 16-Jährige kurz vor seinem Tod in einer Psychiatrie gewesen war. Ferner wurde ganz grundsätzlich kritisiert, dass es keine von der Polizei unabhängigen Ermittlungen bei Fällen von möglicher Polizeigewalt in Deutschland gibt, sondern Beamte gegen Beamte ermitteln.
Die SPD-Innenexpertin Christina Kampmann sagte in einer ersten Reaktion: "Wir haben den Sachverhalt von Anfang an sehr ernst genommen und deshalb stets darauf gedrungen, dass der Innenminister das Parlament umfassend informiert. Durch diesen Bericht sind jetzt zahlreiche neue Details ans Licht gekommen. Damit ergibt sich eine neue Lage in diesem ohnehin schon dramatischen Fall." Der Innenminister habe sich bisher einer aktiven Rolle bei der Aufarbeitung verweigert, kritisierte sie. Auch die politische Aufarbeitung des Falls müsse weitergehen.
Reul: "Neue Lage"
Innenminister Reul sprach angesichts der ausgeweiteten Ermittlungen von einer "neuen Lage". Er habe Vertrauen in das rechtsstaatliche Verfahren. "Gleichzeitig ist eben dieses Verfahren noch nicht am Ende - es handelt es sich bisher um einen Anfangsverdacht." Über die Frage, ob sich Polizeibeamte in der konkreten Situation richtig oder falsch verhalten haben, werde am Ende die Justiz entscheiden. Reul: "Dieser Fall wird jetzt sorgfältig untersucht, bietet jedoch keinen Anlass für Verallgemeinerungen. Das Polizeipräsidium Dortmund hat disziplinarrechtliche Maßnahmen gegen die beteiligten Beamten eingeleitet."