Mustafa Açıkgöz von der AKP hatte bei einem Besuch in einer Moschee in Neuss dazu aufgerufen, Gegner der Erdoğan-Partei weltweit zu suchen und zu vernichten.
Auf Stimmenfang in Deutschland
Politikwissenschaftler und Türkeiexperte Burak Çopur hält Auftritte wie in Neuss für einen klaren Auftrag Erdoğans: "Hier sollen seine Anhängerinnen und Anhänger auf den kommenden Wahlkampf eingestimmt werden."
Ali aus Neuss ist da keine Ausnahme. Obwohl er in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, darf er als türkischer Staatsbürger nur in der Türkei wählen – wie 1,4 Millionen andere Türken in Deutschland.
Erdoğan polarisiert
Dass Ali zum Tee in der Neusser Innenstadt in einer türkischen Zeitung blättert, ist also kein Zufall: "Klar ist das unser Präsident, den wir total unterstützen", lobt er. Denn Erdoğan sei der erste Präsident, der für das Volk und auch für die Türken im Ausland spreche.
Aber auch Gegner der Erdoğan-Politik finden sich in der Neusser Fußgängerzone. Fatma trägt Kopftuch und war lange Zeit Anhängerin der AKP, die sich gerne als islamisch-konservativ bezeichnet. "Ich kann es nicht nachvollziehen, warum man Erdogan als Anführer der Muslime sieht", sagt Fatma. Denn wer Menschenrechte verletze oder Freiheiten einschränke, sei kein Muslim.
Erdogan wirbt bei Auslandstürken um Stimmen
Auftritte wie die Hetzrede von Mustafa Açıkgöz haben einen Grund, weiß WDR-Expertin Ayça Tolun: "Wahlberechtigte in Deutschland könnten das Zünglein an der Waage werden." Erdogans Sieg bei der kommenden Parlamentswahl im Mai gilt keineswegs als sicher. Aber in Deutschland ist er stark: Bei der Präsidentschaftswahl 2018 gewann Erdogan hier 64,8 Prozent der Stimmen.
Viele Türken in Deutschland sind Erdogan dankbar. Für besser entwickelte Straßen und neue Krankenhäusern, die viele bei ihren Sommerreisen in die Türkei sehen. Aber auch für ganz konkrete Politik, mit der Erdogan versucht, die Auslandstürken an die AKP zu binden.
Yusuf, der wie Ali an einem Tisch vor einem türkischen Teehaus in der Neusser Innenstadt sitzt, erklärt, wie er sich vom eigentlich verpflichtenden Wehrdienst freikaufen konnte: "Ich hätte 6.000 Euro bezahlen müssen – Erdogan hat das auf 1.000 Euro gebracht und ich habe 5.000 Euro gespart." Auch aus Dankbarkeit wähle er die AKP, sagt Yusuf.
Aber nicht alle Neusser Türken sind mit Erdogans Politik und dem Wahlkampfauftritt in der Yunus-Emre-Moschee einverstanden, sagt Heinrich Thiel. Er sitzt für die SPD im Stadtrat von Neuss und die Moschee liegt in seinem Wahlkreis: "Es sind nicht nur die kurdischen Vereine, die sich empören, sondern auch türkische", weiß Thiel.
Ilke und ihr Freund Adem wollen sich von Erdoğans Investitionen, wie zum Beispiel beim Ausbau der Infrastruktur, nicht blenden lassen. Adem sagt: "Er hat die sozialen Netzwerke eingeschränkt und somit auch die Freiheit der Menschen. Das geht in Richtung Diktatur." Aus Prinzip will er die kurdische Partei HDP wählen. Wahlkampfauftritte wie der von AKP-Politiker Mustafa Açıkgöz würden ihn dabei nicht einschüchtern, sagt Adem.