Kölner Caritas startet Pilotprojekt für queere Menschen in Pflegeeinrichtungen
05:44 Min.. Verfügbar bis 13.09.2025.
Kölner Caritas startet Pilotprojekt für queere Menschen in Pflegeeinrichtungen
Stand: 14.09.2023, 13:23 Uhr
Jürgen Reindorf ist 80 Jahre alt und bisexuell. Er gehört zu einer Generation, in der Homosexualität unter Strafe stand. Heute lebt er in einer Pflegeeinrichtung der Caritas in Köln, die sich mit einem Pilotprojekt für queere Menschen in den Altenzentren einsetzt.
Von Nora Oldach
Mit einem Regenbogen-Schirm in der Hand wird Jürgen Reindorf in seinem Rollstuhl über die Deutzer Brücke geschoben. Er soll den 80-Jährigen vor der Sonne schützen, denn eigentlich ist es viel zu heiß. Doch auf diesen Tag hat sich der 80-Jährige seit Monaten gefreut.
Zusammen mit seinen Pflegern und Mitbewohnern aus dem Altenzentrum ist Jürgen Reindorf auf den Christopher Streetday in Köln gekommen, um an der Parade für die Gleichberechtigung aller Menschen zu demonstrieren, egal wen sie lieben und wie sie leben.
"Sex mit einem Mann hat sich nicht falsch angefühlt"
Jürgen Reindorf lebt im Caritas-Altenzentrum St. Marternus in Rodenkirchen. Seine Frau starb, als er noch jung war. Danach veränderte sich seine Sexualität.
Jürgen Reindorf beim Cristopher Streetday in Köln
"Ich war acht Jahre verheiratet. Meine Frau ist schon tot, sie hatte schwer Brustkrebs. Und irgendwann bin ich dann damals auf den Geschmack gekommen, mal was mit Männern zu machen. Und das fand ich ganz in Ordnung".
In Ordnung fand die Gesellschaft das zu dieser Zeit nicht. Homosexualität war nach Paragraf 175 des Strafgesetzbuches in Deutschland lange strafbar. 1969 wurde das Gesetz gelockert: Erwachse Männer ab 21 Jahren durften straflos homosexuelle Handlungen vollziehen. Allerdings beschloss der Bundestag erst 1994 die endgültige Streichung des Paragrafen. Viele ältere queere Menschen haben Anfeindungen und Ausgrenzung erlebt. "Ich finde es ganz gut, dass die Welt so offen und tolerant geworden ist, dass man die Leute nicht in eine Ecke stellt und sie schlägt und bespuckt, so wie das schon oft vorgekommen ist", sagt Jürgen Reindorf, der sich nicht mehr verstecken muss.
Queere Menschen sollen sich sicher fühlen
Es geht um eine Atmosphäre, in der Lesben, Schwule, Bi-, Trans- und intergeschlechtliche Menschen das Gefühl haben können, nicht für ihre Sexualität verurteilt zu werden. Entscheidend dafür sei beispielsweise, dass ein Vertrauensverhältnis zu einer Pflegekraft besteht, erklärt Ulrich Schwarz, Einrichtungsleiter des St. Marternus.
Queerer Stammtisch in Köln
Queere Themen kommen auf den Tisch
Außerdem findet monatlich ein Stammtisch statt, an dem Bewohner und Pfleger gemeinsam ganz offen über queere Themen sprechen können.
Renate Graffmann lebt in einer anderen Caritas-Einrichtung und ist für den queeren Stammtisch extra nach Köln Rodenkirchen gekommen. Das Thema Homosexualität liegt ihr als ehemaliger Pfarrerin besonders am Herzen.
Kein Grund zum Schämen mehr
"Zu mir sind viele lesbische Frauen gekommen, die sich mir anvertraut haben. Das hat mich manchmal sehr berührt. Die Einsamkeit und die Missachtung, die diesen Menschen entgegen schlug, wenn es bekannt wurde, dass sie zu den Queeren gehören, die war einfach entsetzlich. Die hatten schon eine große Last zu tragen."
In zwei von insgesamt sieben Pflegeeinrichtungen in Köln legt die Caritas einen besonderen Schwerpunkt auf queere Pflege. Denn am Ende des Regenbogens soll Queer sein für Menschen wie Jürgen Reindorf kein Grund mehr zum Schämen oder Verstecken sein, sondern ein Grund zum Feiern!
Über dieses Thema berichten wir am 13. September 2023 auch im WDR Fernsehen: Lokalzeit aus Köln, 19.30 Uhr.
Transparenzhinweis: In einer vorherigen Version des Artikels hatten wir formuliert, Homosexualität sei durch den §175 des Strafgesetzbuchs bis 1994 verboten gewesen. Wir haben diesen Abschnitt ergänzt und präzisiert.