Habeck im Stresstest: Mit Atomkraft im Notfall durch die Energiekrise

Stand: 05.09.2022, 21:23 Uhr

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat sich angesichts der Energiekrise dafür ausgesprochen, dass zwei der letzten drei Atomkraftwerke als Reserve zur Verfügung stehen sollen. Dabei berief er sich auf den Stromnetz-Stresstest, dessen Ergebnisse am Montag vorgestellt wurden.

Notwendig und vertretbar - so nannte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die Idee, zwei AKW in Süddeutschland bis April in Reserve zu halten. Hintergrund ist die Energiekrise in Sachen Gas und Öl aufgrund von Russlands Angriffskrieg in der Ukraine.

"Wenn die Entscheidung getroffen wird, die Atomkraftwerke werden gebraucht, dann werden sie gebraucht", sagte der Grünen-Politiker am Montag in Berlin. Dann liefen sie so lange, bis die Brennelemente verbraucht seien oder bis das Enddatum erreicht sei. Das Wiederanfahren werde ungefähr eine Woche dauern.

Umwelt- und Reaktorsicherheits-Ministerin Steffi Lemke nannte Habecks Vorschlag vernünftig.

Die Bundesregierung geht nach den Ergebnissen des sogenannten Stresstests davon aus, dass die Stromversorgung im Winter voraussichtlich gesichert ist. Es sei unwahrscheinlich, dass es stundenweise zu krisenhaften Situationen im Stromsystem kommt - könne aber nicht vollständig ausgeschlossen werden.

Mit dem Schlimmsten rechnen

Habeck hält nach den Ergebnissen des zweiten Netzstresstests eine Vorbereitung auch auf extremere Szenarien für nötig: "Wir sind hier nicht in einer Situation, wo wir auf das Beste hoffen können, sondern wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen." Man könne nicht ausschließen, dass Atomkraftwerke bei der angespannten Situation einen Beitrag leisten können.

Es gehe um Abwägungsentscheidungen in der aktuellen Energiekrise, erst recht bei der Atomkraft, so Habeck: "Die sollte man so sparsam wie möglich treffen." Deshalb sei das Atomkraftwerk im Emsland raus. Man müsse aber die beiden anderen Atomkraftwerke Isar 2 in Bayern und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg im Blick behalten. Eine generelle Laufzeitverlängerung schloss er allerdings über Notfälle hinaus kategorisch aus.

Forderungen nach Laufzeitverlängerung

Im Atomausstieg ist eigentlich vereinbart, dass die besagten drei Atommeiler als letzte am 31. Dezember abgeschaltet werden. Forderungen nach einer Laufzeitverlängerung sind aber von der Union und der FDP immer lauter geworden.

Die Union warnt seit Wochen vor möglichen Stromausfällen im Winter und will auch drei weitere, im vergangenen Jahr abgeschaltete Atomkraftwerke reaktivieren. Die Liberalen wollen eine Laufzeitverlängerung über Jahre. "Die Vorkehrungen für den Weiterbetrieb müssen angesichts der sich verschärfenden Stromkrise unverzüglich getroffen werden", heißt es in einem Beschluss des Partei-Präsidiums. Ergebe sich hieraus die Notwendigkeit, weitere Brennelemente zu beschaffen, "müssen die Bemühungen hierfür kurzfristig eingeleitet werden".

SPD-Chefin Saskia Esken bekräftigte, dass ihre Partei höchstens einem "Streckbetrieb" zustimmen würde. Zu einer mehrjährigen Laufzeitverlängerung oder gar einer Wiederinbetriebnahme alter Meiler sei die SPD "auf keinen Fall bereit".

Grüne-Fraktionschefin: In Ruhe beraten

Britta Haßelmann

Britta Haßelmann

Für die Grünen wäre ein Beschluss zu längeren Laufzeiten eine historische Kehrtwende. Führende Grüne hatten den sogenannten Streckbetrieb von AKW nicht ausgeschlossen. "Für uns als Fraktion ist es klar, dass, wenn der Stresstest vorgelegt wird, wir selbstverständlich in Ruhe darüber beraten und sich daraus ableiten wird, welche Schritte notwendig sind", sagte Bundesfraktionschefin Britta Haßelmann. In Teilen der grünen Basis sind die Widerstände grundsätzlich groß.

Kritische Lage

Ein AKW-Weiterbetrieb in Deutschland würde eine Reihe von Fragen aufwerfen. Zum einen müsste das Atomgesetz geändert werden. Die seit Jahren überfälligen und nur wegen der bevorstehenden Abschaltung ausgesetzten Sicherheitsüberprüfungen müssten nochmal geschoben werden. Nach der Atomkatastrophe von Fukushima hatte es zudem weitere verschärfte Vorgaben gegeben, die die Anlagen mit Blick auf ihr Ende nicht erfüllen mussten.

Hinzu kommt folgendes Energie-Problem: Das Wirtschaftsministerium hat darauf hingewiesen, dass mehrere Kohlekraftwerke am Rhein ständen, aber unter dem aktuellen Niedrigwasser litten. "Aufgrund der sehr eingeschränkten Binnenschifffahrt könnten sich die aufgebauten Kohlelager schnell reduzieren", heißt es im "Lagebild Energieversorgung" des Wirtschaftsministeriums von Ende August.

Das überlastete Schienennetz mache auch die Lieferung per Zug schwierig. Darüber hinaus fließt von Deutschland Strom nach Frankreich ab, da ein großer Teil der dortigen Kernkraftwerke überholt wird.