Urteil im größten Mafia-Prozess seit Jahrzehnten

WDR aktuell 20.11.2023 Verfügbar bis 20.11.2025 WDR Von Stefan Wittke

Mafia-Prozess in Italien: Wie verbreitet ist die 'Ndrangheta in NRW?

Stand: 21.11.2023, 13:47 Uhr

In Italien sind rund 200 Personen bei einem der größten Mafia-Prozesse der Geschichte verurteilt worden. Auch in NRW läuft seit Jahren ein Verfahren gegen mutmaßliche 'Ndrangheta-Mitglieder. Wie verankert ist die kalabrische Mafia bei uns?

Von Jörn Kießler

322 Angeklagte, für die die italienische Staatsanwaltschaft insgesamt mehr als 5.000 Jahre Haft forderte. Für Vergehen, die die Mitglieder der kalabrischen Mafia 'Ndrangheta in etwa 40 Staaten geplant oder begangen haben sollen. Heute haben die Richter in der kalabrischen Stadt Lamezia Terme die Urteile in dem seit gut zwei Jahren laufenden Prozess verkündet. Rund 200 Angeklagte wurden schuldig gesprochen.

Zu diesem größten Mafia-Prozess in Italien seit mehr als drei Jahrzehnten kam es, nachdem die Polizei Ende 2019 in Razzien in mehreren europäischen Ländern mehrere mutmaßliche Mitglieder italienischer Familienclans festgenommen hatte - auch in Deutschland. In diesem Zusammenhang hatte es laut Polizei die größte Razzia gegen Clankriminalität in NRW gegeben.

'Ndrangheta in Deutschland am stärksten vertreten

Denn die 'Ndrangheta ist laut Bundeskriminalamt der am stärksten vertretene Ableger der italienischen Mafia in Deutschland. Von den gut 1.000 italienischen Mafia-Mitgliedern, die es nach Informationen des BKA in Deutschland gibt, gehört mehr als die Hälfte zur kalabrischen 'Ndrangheta.

Auch in NRW ist die 'Ndrangheta der Zweig der italienischen Mafia mit den meisten Mitgliedern. Das Landeskriminalamt (LKA) rechnet der kalabrischen Mafia 188 Mitglieder zu, während Cosa Nostra und Camorra zusammen nicht einmal auf 70 Mitglieder kommen.

Sandro Mattioli, Vorsitzender des Vereins "mafianeindanke"

Sandro Mattioli vom Verein "mafianeindanke"

Sandro Mattioli, Vorsitzender des Vereins "mafianeindanke", geht jedoch davon aus, dass es eine wesentlich höhere Dunkelziffer gibt und verweist auf die italienische Staatsanwaltschaft. Demnach gebe es in Deutschland etwa 60 "Ortsvereine" der 'Ndrangheta, die erst gebildet werden dürften, wenn sie mehr als 50 Mitglieder haben.

"Das heißt, es gibt mindestens 3.000 Mitglieder der 'Ndrangheta in Deutschland." Sandro Mattioli, Vorsitzender des Vereins "mafianeindanke"

Punktesystem für Zuordnung zur Mafia

Oliver Huth, Landesvorsitzender des Bunds der Kriminalbeamten

Oliver Huth, NRW-Landesvorsitzender des Bunds der Kriminalbeamten

Die Differenz komme dadurch zustande, dass die Deutschen Behörden sich mit der eindeutigen Zuordnung sehr schwer täten, sagt Oliver Huth, NRW-Landesvorsitzender des Bunds Deutscher Kriminalbeamter. "Wir haben dafür ein Punktesystem entwickelt, mit dem wir dann final zu dieser Zuordnung kommen", so Huth im Gespräch mit dem WDR.

"Das sind aber nur kriminalistische Indices. Die reichen lange nicht, um justiziable Entscheidungen zu treffen, geschweige denn zu verurteilen", so der Beamte des Landeskriminalamts (LKA) NRW.

Fest steht, dass es auch in NRW mehrere Familienclans gibt, die oft gewerbliche Betriebe aufgebaut haben, um Geld zu waschen. Zudem baue die Organisation strategische Stützpunkte auf, um im internationalen Rauschgifthandel mitzumischen, so Huth.

Polizei geht gegen kalabrische Mafia in NRW vor

Wie verankert sie mittlerweile schon in NRW sind, zeigen die Fahndungserfolge der Polizei in den vergangenen Jahren. Schon ein Jahr vor den Zugriffen im Dezember 2019 durchsuchte die Polizei in zahlreichen Städten Gebäude mutmaßlicher Mafiosi und nahm mehrere Personen fest, die zur 'Ndrangheta gehören sollen. Seit 2020 läuft ein Prozess gegen 14 dieser Männer.

Aber auch in diesem Jahr gingen die Behörden in mehreren großangelegten Aktionen gegen die kalabrische Mafia in NRW vor. Anfang Mai stürmte die Polizei Häuser in Siegen, Hagen, Wuppertal, Essen, Dortmund und Bonn und nahm 18 Personen fest. Ende Juni wurde in Münster der 62-jährige Francesco A. festgenommen, der als einer der führenden Köpfe der 'Ndrangheta in Deutschland gilt.

Erste Bekanntheit erlangte die 'Ndrangheta in Deutschland durch die sogenannten Mafiamorde von Duisburg 2007. Im Zuge des Streits zweier verfeindeten Familienclans wurden im August des Jahres sechs Menschen aus nächster Nähe vor einem italienischen Restaurant erschossen.

Antimafia-Staatsanwalt: Mafia baut Beziehungen auf

Solche in der Öffentlichkeit ausgetragenen und eskalierenden Fehden sind in der kalabrischen Mafia aber eigentlich eine Seltenheit. "Die Mafia ist keine kriminelle Organisation, die nur aus gewaltbereiten Männern besteht", sagt der italienische Antimafia-Staatsanwalt Nicola Gratteri. Viel wichtiger sei die Fähigkeit, Beziehungen aufzubauen und zu halten.

Was für Verbindungen das sind und wie sie genutzt werden, zeigte sich auch bei dem Prozess in Kalabrien. Hier saßen nicht nur Mitglieder der lokalen Mancuso-Familie auf der Anklagebank, sondern auch Politiker, Finanzbeamte, Notare, Polizisten und Unternehmer.

Auch dadurch sind die Ermittlungen gegen die 'Ndrangheta so schwierig. Genau wie die Tatsache, dass Teile der kalabrischen Mafia zwar in NRW sitzen, ihre Taten aber auch in anderen Ländern begehen. "Die Straftaten werden in Italien geplant, in Belgien und den Niederlanden - gerade was die Einfuhr von Kokain angeht - durchgeführt und in Deutschland sehen wir nur die Geldwäsche", sagt Oliver Huth vom Bund Deutscher Kriminalbeamter.

Sein Appell im Kampf gegen die 'Ndrangheta, aber auch andere Mafia-Clans, ist ganz klar: "Wir brauchen ein Verständnis dafür, dass es hier um europäische Kriminalität geht, die europäisch bekämpft werden muss."

Quellen

  • Verein "mafianeindanke"
  • Bundeskriminalamt
  • Morgenecho-Interview mit Oliver Huth (Bund der Kriminalbeamten)