Razzia in NRW: Schlag gegen italienische Mafia
Stand: 03.05.2023, 16:18 Uhr
Die Polizei hat in NRW 18 mutmaßliche Mitglieder der Mafia-Organisation 'Ndrangheta sowie einer deutschen kriminellen Vereinigung verhaftet. Die Razzien waren Teil eines europaweiten Großeinsatzes gegen die italienische Mafia und die organisierte Kriminalität.
Von Christine Zeese, Helge Hoffmeister
Am Mittwochmorgen um 4.10 Uhr stürmten 500 schwer bewaffnete Einsatzkräfte der Polizei parallel mehrere Objekte: unter anderem in Siegen, Hagen, Wuppertal, Essen, Dortmund und Bonn. Hintergrund sind Ermittlungen in Zusammenhang mit der italienischen 'Ndrangheta-Mafia. Besonders in NRW sollen die Ermittler einem weit verzweigten Geldwäschesystem in Restaurants, Pizzerien, Cafés und Eisdielen auf der Spur sein.
"Neue, vergitterte Bleibe"
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) lobte auf einer Pressekonferenz in Düsseldorf die Kooperation und Koordination mit den internationalen Einsatzkräften: "Das war eine verdammt gute Arbeit." Nordrhein-Westfalen sei aufgrund seiner starken Wirtschaft und der guten Infrastruktur für die kriminellen Vereinigungen interessant. Auch die Nähe zu den Niederlanden sei für die Kriminellen attraktiv. Aber das Verfahren zeige, dass der Staat auch immer wieder einschreite: "Wir besuchen sie in ihren Hinterzimmern, holen sie aus ihren mafiösen Parallelwelten und geben ihnen eine neue, vergitterte Bleibe."
Festnahme bei Razzia
Die Polizei-Einsatzkräfte durchsuchten Wohnungen, Geschäfte und Büros der Verdächtigen. Dabei waren auch Spürhunde im Einsatz. Alleine in NRW durchsuchten die Beamten 51 Objekte. Die Polizei stellte Bargeld, Munition, und Fahrzeuge sicher, darunter einen Food-Truck im Wert von 300.000 Euro sowie einen Kettenbagger.
Die Staatsanwaltschaft wirft den Beschuldigten unter anderem Geldwäsche, bandenmäßige Steuerhinterziehung, gewerbsmäßigen Bandenbetrug sowie Rauschgiftschmuggel vor. Allein in NRW wurden 16 Haftbefehle vollstreckt, hinzu kamen zwei italienische Haftbefehle. Eine weitere Person nahm die Polizei in San Luca fest. "Ausdauer und Geduld sind das Erfolgsrezept gegen international organisierte Kriminalität", sagte Ingo Wünsch, Direktor des Landeskriminalamts NRW. Die Ermittlungen seien ein Beispiel für gelungene europäische Zusammenarbeit.
Drogenpakete unter der Rückbank
Der italienische 'Ndrangheta-Clan soll große Mengen an Kokain aus Südamerika nach Europa geschmuggelt haben. Eine deutsche kriminelle Vereinigung soll dabei als Dienstleister gewirkt haben, der die Drogen mit Kurieren nach Italien schmuggelte. Im Fokus steht dabei ein 62-jähriger Mann aus Hattingen. Er soll die Kuriere beauftragt haben. Zwischen Februar 2018 und August 2020 soll es 57 bestätigte Fahrten gegeben haben, mit mehr als 15 Kilogramm Kokain pro Fahrzeug. Die Ware versteckten die Kuriere den Angaben zufolge in speziell eingebauten Fächern unter den Rücksitzen.
Um die illegalen Drogengelder zu waschen, sollen die Verdächtigen in Restaurants und Eisdielen investiert haben, die ihnen als strategische Stützpunkte dienen. Während der Corona-Pandemie sollen sie zusätzlich mit Amphetaminen und mit Marihuana gehandelt haben.
Durchsucht wurde unter anderem auch ein Eiscafé in der Siegender Innenstadt. Dort waren 13 Polizeiautos und zwei große Lkw im Einsatz. Etwa 50 bis 60 Polizisten stellten im Minutentakt dicke Kartons mit Beweismaterial sicher.
Den Betreibern des Eiscafés wird vorgeworfen, als Teil der 'Ndrangheta an Drogenschmuggel und Geldwäschegeschäften quer durch Europa beteiligt zu sein. Auch drei Beamte der italienischen Polizei waren vor Ort. Dem Geschäftsführer wurde zudem die Gaststättenerlaubnis entzogen, sodass dieser für die nächsten 80 Jahre keinen Ausschank in Deutschland betreiben darf.
Europaweiter Großeinsatz
Die Aktion gegen die 'Ndrangheta ist eine weltweite Ermittlungsaktion mit dem Namen "Operation Eureka". Die Razzien in Deutschland koordinierte die Staatsanwaltschaft Düsseldorf. Neben NRW gab es in Bayern, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Thüringen Durchsuchungen.
An dem europaweiten Großeinsatz sind Sicherheitsbehörden aus Belgien, Frankreich, Italien, Portugal, Rumänien, Slowenien und Spanien beteiligt. Europaweit waren seit den frühen Morgenstunden mehr als tausend Polizistinnen und Polizisten im Einsatz. Die Fäden der gesamten Operation "Eureka" laufen bei den europäischen Strafverfolgungsbehörden Eurojust und Europol zusammen.
Allein in Kalabrien haben italienische Anti-Mafia-Spezialkräfte 108 Personen festgenommen. 85 mutmaßliche Mafiosi wurden dort laut Polizeiangaben in Gefängnisse gebracht.
Drogen, Waffen, Geldwäsche
Die 'Ndrangheta ist längst über die Grenzen Italiens hinaus aktiv und dominiert den internationalen Drogenhandel. Sie finanziert sich außerdem durch Waffenhandel, Geldwäsche und Korruption. Experten schätzen ihren Umsatz auf mehr als 100 Milliarden Euro.
Ihr Stammgebiet ist an der Spitze des italienischen Stiefels gegenüber der Insel Sizilien in der Region Kalibrien. Dort gibt es rund 160 Clans mit schätzungsweise 6.000 Mitgliedern. In den 1860er-Jahren sollen eine Gruppe von Sizilianern, die durch die italienische Regierung von ihrer Insel verbannt worden waren, die 'Ndrangheta gegründet haben.
Sie hat auch in Deutschland ein festes Standbein. So waren zum Beispiel Clans der Organisation für die Mafia-Morde von Duisburg verantwortlich, bei denen 2007 sechs Menschen vor einer Pizzeria erschossen wurden. Aktuell schätzen die Behörden die Mitglieder und Personen in NRW, die der Organisation nahe stehen, auf eine dreistellige Zahl.