Sechs Windräder inmitten einer weiten, grünen Landschaft.

Regeln für Windräder: NRW wird zum Flickenteppich der Vorschriften

Stand: 28.08.2024, 06:00 Uhr

In NRW arbeiten die Planer an neuen Zonen für Windräder. Nun zeigt sich: Jede Region gibt sich eigene Regeln. Die sind teils kreativ.

Von Tobias ZacherTobias Zacher

Es ist eine entscheidende Zeit für die Erneuerbare-Energien-Branche in Nordrhein-Westfalen: Die fünf Bezirksregierungen und der Regionalverband Ruhr (RVR) arbeiten gerade intensiv an neuen Regionalplänen, um darin Windenergiegebiete auszuweisen. Eine Auswertung des Branchenverbands "Landesverband Erneuerbare Energien" (LEE NRW) zeigt nun, dass dieser neue Modus - Stand jetzt - zu einem Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen führt. Zusätzlich verhindert eine Übergangsregelung den Bau gleich mehrerer dutzend Windräder. Die LEE-Auswertung liegt dem WDR vor.

Schon 65 "Einzelfälle"

Der Wirtschaft geht vor allem die Übergangsregelung gegen den Strich. Zum Hintergrund: Die neuen Windenergiegebiete sollen bis Ende 2025 in den Regionalplänen festgelegt werden. Bis dahin gelten eigentlich die alten Vorgaben weiter, vor allem aus dem Baugesetzbuch und dem Bundesimmissionsschutzgesetz. Um den Übergang vom alten zum neuen Modus zu gestalten, hat die Regierung im Landesplanungsgesetz eine Regel erlassen: Die Genehmigung zum Bau von Windrädern außerhalb der künftigen Windenergiegebiete kann von der Regionalplanungsbehörde ausgesetzt werden - und zwar "im Einzelfall", wie es im Gesetz heißt.

Gleich dutzendfach hat die Bezirksregierung Arnsberg dies getan - und so den Bau von 65 Windrädern blockiert. Diese Zahl teilte das Wirtschafts- und Energieministerium des Landes auf WDR-Anfrage mit. Zum Vergleich: In ganz NRW gingen im ersten Halbjahr 61 Windräder neu in Betrieb. Aus den anderen fünf Planungsregionen sind dem Ministerium keinerlei Aussetzungen bekannt. Allerdings lässt die Bezirksregierung Arnsberg wissen: "Nach unserem Kenntnisstand sind auch in anderen Planungsregionen aktuell entsprechende Zurückstellungsverfahren in der Erarbeitung."

Neubaur: "Ambition und Akzeptanz verbinden"

Hans-Josef Vogel, Vorsitzender des Landesverband Erneuerbare Energien NRW e.V.

Hans-Josef Vogel (LEE NRW)

Der LEE-Vorsitzende Hans-Josef Vogel geht davon aus, "dass die nun zurückgestellten Windenergie-Projekte überhaupt nicht mehr gebaut werden, da die Flächen außerhalb der noch zu genehmigenden Regionalpläne liegen". Die Unternehmen hätten dadurch zweistellige Millionenbeträge "in den Sand gesetzt". Vogel rechnet mit Klagen gegen die Aussetzung. "Wenn wir mehr als 50 Aussetzungen haben, dann sind das keine Einzelfälle", kritisiert er. Sein Verband vertritt die Interessen von Unternehmen der Erneuerbare-Energien-Branche in NRW.

ARCHIV - 21.12.2022, Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf:

Mona Neubaur (Grüne)

Die zuständige Wirtschafts- und Energieministerin, Mona Neubaur (Grüne) sagte auf WDR-Anfrage, für den Ausbau der Windenergie sei "das Vertrauen auf die Planverfahren in den Regionen" wichtig. Genau dafür habe ihre Landesregierung die Möglichkeit zur Aussetzung geschaffen. "Alle Beteiligten eint das Ziel, Ambition und Akzeptanz zu verbinden und so den Ausbau der Erneuerbaren Energien in NRW weiter umfassend zu ermöglichen", so Neubaur.

Arnsberg und Detmold wollen Tausend-Meter-Abstand

Mit Blick auf die Regionalpläne, die derzeit von den Bezirksregierungen in Arnsberg, Detmold, Düsseldorf, Köln und Münster sowie vom Regionalverband Ruhr (RVR) erarbeitet werden, steht NRW vor einem Flickenteppich der regionalen Sonderregeln. "Die fehlende Steuerung des Landes sorgt dafür, dass jede Planungsregion ihr eigenes Ding macht", kritisiert LEE-Chef Vogel.

Laut Auswertung des LEE sehen die Entwürfe teilweise tausend Meter Abstand zwischen einem Windrad und dem allgemeinen Siedlungsbereich (Arnsberg) oder zum bewohnten Innenbereich (Detmold) vor. Erst vergangenes Jahr hatte die schwarz-grüne Landesregierung das pauschale Tausend-Meter-Abstandsgebot zu Wohnsiedlungen eigentlich abgeschafft.

Touristische Sonderregel in der Region Arnsberg

Eine ganz neue Sonderregel hat sich die Bezirksregierung Arnsberg ausgedacht: Hier sollen Windräder 440 Meter Abstand zu "touristisch bedeutsamen" Wander- und Radwegen, Seen und Aussichtstürmen halten. Ebenso wie in der Planungsregion Detmold sei hier außerdem ein 300-Meter-Abstand zu Vogelschutzgebieten geplant, so der LEE.

Andernorts sind die Abstände laut Branchenverband dagegen zu gering. In der Planungsregion Münster seien aus diesem Grund mehrere Flächen "für die Errichtung moderner Windenergieanlagen absolut ungeeignet", heißt es vom LEE. Ähnliche Vorwürfe zu einem früheren Planungsstand hatte die Bezirksregierung Münster im vergangenen Jahr zurückgewiesen.

Detmold und Münster wollen kein Windrad im Nutzwald

In Detmold wollen die Regionalplaner laut LEE keine Windräder in Nutzwäldern erlauben. Die gleiche Regel wolle Münster einführen - und Windräder zusätzlich auch auf Kalamitätsflächen verbieten. Letzteres sind Waldstücke mit abgestorbenen Bäumen, die zum Beispiel durch Dürre oder den Borkenkäfer zerstört wurden. Eigentlich ist der Betrieb von Windrädern in Nutzwäldern und auf Kalamitätsflächen im Landesentwicklungsplan ausdrücklich vorgesehen.

Lob für Düsseldorf, Unklarheit im Ruhrgebiet

Ausdrücklich wohlwollend äußert sich der LEE dagegen zum Regionalplan aus Düsseldorf - hier gebe es ein klares Bekenntnis zum Ausbau der Erneuerbaren Energien und transparente Begründungen.

Noch nichts sagen lässt sich dagegen zu den Planungen des Regionalverbands Ruhr, denn von dort gibt es weder einen Entwurf noch einen genaueren Zeitplan. Ob tatsächlich, wie vom Land vorgegeben, bis Ende 2025 hier ein neuer Regionalplan beschlossen ist, erscheint unklar.

Militärflughäfen bei Köln könnten Windräder erschweren

Unsicherheit gibt es laut LEE aktuell auch in der Planungsregion Köln. In diesem Gebiet liegen die Militärflughäfen Nörvenich und Geilenkirchen. Bei seiner Windrad-Potenzialstudie hatte das Landesumweltamt (LANUV) im vergangenen Jahr nicht berücksichtigt, wie groß die Einschränkungen für Windparks durch militärische Flugrouten sind - und zwar, weil "konkrete Aussagen seitens der Bundeswehr regelmäßig nur für einzelne Flächen oder sogar erst im Genehmigungsverfahren für einzelne Windenergieanlagen erfolgen", wie das Wirtschafts- und Energieministerium mitteilt.

Diese LANUV-Studie bezeichnet das Wirtschaftsministerium als "wichtige Grundlage" für die Ausweisung der Windenergie-Flächen in den Planungsregionen. LEE-Chef Vogel befürchtet wegen der Militärflugplätze, "dass das Flächenziel sich hier nicht erfüllen lässt." Das Ministerium widerspricht - und teilt mit: "Es ist derzeit nicht davon auszugehen, dass ein nennenswerter Anteil der Flächen im Bereich der weiträumigen Flugrouten nicht für die Windenergienutzung zur Verfügung steht". Jedoch könnten "im Einzelfall" dort teilweise nur kleinere Windräder gebaut werden, so das Ministerium.

NRW setzt Bundesregel um

Nordrhein-Westfalen muss laut Bundesgesetz 1,8 Prozent seiner Landesfläche für Windenergie zur Verfügung stellen, und zwar bis zum Jahr 2032. Die schwarz-grüne Landesregierung hat entschieden, diese Zielmarke bereits im Jahr 2025 erreichen zu wollen - und deshalb mit einem neuen Landesentwicklungsplan die sechs Planungsregionen mit der Ausweisung von Windenergiegebieten mit jeweils einer bestimmten Mindestgröße beauftragt. Aktuell sind rund 1,3 Prozent der Landesfläche für Windräder ausgewiesen.