"Housing First": Experten loben Hilfsmodelle für Obdachlose
Stand: 01.07.2024, 15:25 Uhr
Obdachlose bekommen eine Wohnung angeboten - trotz Drogen- und anderen Problemen. Solche Hilfsmodelle sollten ausgebaut werden, so Experten bei einer Anhörung im Landtag.
Von Martin Teigeler
Die einen müssen auf der Straße leben. Andere kommen in Notschlafstellen unter oder sie übernachten bei Bekannten. Obdach- und Wohnungslosigkeit hat viele Gesichter. Im Landtag berieten Fachleute am Montag darüber, welche Hilfsangebote für Betroffene in Nordrhein-Westfalen ausgebaut werden sollten.
Ein Modell, das vor allem in Großstädten seit ein paar Jahren erprobt wird, ist "Housing First". Der englische Name ist Programm: Eine Wohnung ist nicht alles, aber die Grundlage, um klarzukommen im Leben. Obdachlose erhalten dabei eine Wohnung mit eigenem Mietvertrag - ohne Vorbedingungen wie etwa einer erfolgreichen Suchttherapie.
Die Menschen, die nicht selten Drogenprobleme haben und unter psychischen Erkrankungen leiden, werden dann allerdings nicht allein gelassen. In Düsseldorf kümmern sich zum Beispiel drei Sozialarbeiterinnen um gut 50 Menschen. Finanziert werden solche Projekte durch öffentliche Zuschüsse und private Spenden.
Laut Forscher gute Erfolgsquote
Der Sozialforscher Volker Busch-Geertsema sieht in "Housing First" eine "sehr gute Basis", damit zuvor obdachlose Menschen sich weiter entwickeln können. Dabei könne es auch Rückschläge geben, etwa durch Suchtprobleme. In deutlich über 80 Prozent der Fälle gelinge es aber, das Mietverhältnis langfristig zu erhalten. Dies sei "enorm", lobte der Forscher bei der Expertenanhörung im Landtag. Er empfahl, die Angebote auszubauen.
Auch Anne van Rießen von der Forschungsstelle für sozialraumorientierte Praxisforschung und Entwicklung regte an, von Pilotprojekten verstärkt zu nachhaltigen Modellen zu kommen. Dafür müssten mehr private Vermieter gewonnen werden.
Erik Uwe Amaya von Haus & Grund warb um Verständnis für Wohnungs- und Grundeigentümer, die aus Sorge vor ausbleibenden Mieteinnahmen bisher nicht an Obdachlose vermieten wollten: "Der Eingang von pünktlichen Mietzahlungen ist für private Vermieter sehr wichtig, vor allem bei laufendenden Finanzierungen, um nicht selbst in finanziellen Schwierigkeiten zu geraten." Man müsse aufklären, Vorurteile abbauen - und Lösungen mit Kommunen finden, für den Fall, dass es etwa zu Schäden in Wohnungen komme.
Forderung: Hilfen sollen ausgebaut werden
Die Streetworkerin Julia von Lindern vom Bundesverband "Housing First" betonte das "Recht auf Wohnen" für alle Menschen. Wichtig sei ihr dabei die Selbstbestimmung der Betroffenen. Derzeit befindet sich nach Angaben ihres Verbandes sowohl in NRW als auch bundesweit der überwiegende Teil der "Housing First"-Angebote "in Modellphasen mit entsprechender Budgetierung und folglich gedeckelten Ressourcen".
Dies stehe einer Ausweitung des "Housing First"-Ansatzes als Regelangebot entgegen: "Zudem sind die Angebote zeitlich befristet. Bis zu einer Klärung der grundsätzlichen Fragen von Verstetigung oder Regelangebot erscheinen Landesprogramme zur Überbrückung in der Übergangsphase zumindest hilfreich und sinnvoll."
Zahl der Obdachlosen steigt
Dass mehr Angebote benötigt werden, zeigt die Statistik: Laut einer Zählung aus dem Oktober 2023 leben allein in der Landeshauptstadt Düsseldorf über 700 Obdachlose. Das war im Vergleich zu letzten Zählung im Jahr 2021 eine Steigerung um knapp 60 Prozent, wie die Arbeitsgemeinschaft von Trägern der Wohnungslosenhilfe im Frühjahr 2024 mitgeteilt hatte.
Die Verelendung von Obdachlosen nehme zu, hieß es bei der Vorstellung der Düsseldorfer Zahlen. NRW-weit lebten laut einer Studie im Auftrag des Landes bereits 2021 rund 5.300 Menschen auf der Straße. Davon zu unterscheiden ist die Zahl der Wohnungslosen, die deutlich höher liegt - teils auch, weil viele ukrainische Kriegsflüchtlinge eine Bleibe suchen:
Bettina Rudat von der Freien Wohlfahrtspflege warnte, so lange generell kein ausreichender Wohnraum zur Verfügung stehe, fehle es eben auch an Angeboten für Obdachlose. Diese würden nach wie vor oft stigmatisiert, hieß es von mehreren Experten.
Große Ziele der Politik
Die Regierungen in Bund und Land NRW haben das Ziel ausgegeben, die Obdach- und Wohnungslosigkeit bis 2030 zu überwinden. Bei der Anhörung ging es auch um viele technische Fragen - zum Beispiel um einen besseren Austausch zwischen Behörden.
Ziemlich einig waren sich die Fachleute, dass "Housing First" als ein Baustein im Kampf gegen Obdachlosigkeit ausgebaut werden sollte. Der Staat könne dabei sogar Geld sparen, da die Finanzierung von Notschlafunterkünften kostspieliger sei als die Übernahme von Mietzahlungen.