Vertreibung von Obdachlosen

02:32 Min. Verfügbar bis 20.06.2026

Architektur vertreibt Obdachlose in Köln: Immer weniger Schlafplätze

Stand: 20.06.2024, 07:56 Uhr

Gitter vor Hauseingängen, unterteilte Sitzbänke oder Steine unter Brücken: Kölner Hilfsprojekte beklagen, dass damit den Obdachlosen die Schlafplätze genommen werden.

Von Jens Gleisberg

Seit Corona habe der Druck auf Obdachlose zugenommen, sagt Linda Rennings. Sie war früher selbst obdachlos, arbeitet seit mehreren Jahren als Streetworkerin für das Projekt "Heimatlos in Köln e.V.“. Denn gerade in den damals sonst menschenleeren Straßen seien obdachlose Menschen sichtbar geworden und in das Bewusstsein vieler geraten.

Schlafplätze für Obdachlose werden immer weniger

Im Vordergrund ist ein Zaun zu sehen, dahinter ein Haus mit niedrigen Büschen als Dekoration,

Ein Zaun trennt Innen und Außen erfolgreich voneinander ab

Linda Rennings ist vor allem rund um den Wiener Platz im Stadtteil Mülheim unterwegs. Obdachlose Menschen würden hier von Sicherheitskräften aus dem U-Bahn-Tunnel vertrieben, andere versperren die Hauseingänge mit Gittern.

Auch der überdachte Zugang zu einer Kirche wurde versperrt, nachdem dort Alkohol- und Drogensüchtige gelagert hatten. Ein geschützter Schlafplatz für Obdachlose weniger. Damit werde das Leben der Obdachlosen noch anstrengender, sagt die Sozialwissenschaftlerin Nora Sellner.

Studie zeigt: Rückzugsorte für Obdachlose fehlen

Sie hat für eine Studie der Katholischen Hochschule in Köln obdachlose Menschen mit einem Geotracker ausgestattet. Die Studie zeige, wie viele Kilometer obachlose Menschen zurücklegen müssen, um ihren Alltag zu regeln. Vor allem fehlen Rückzugsorte.

"Die Politik ist gefragt Räume zu schaffen, wo man sich zurückziehen kann, wo man Privatsphäre haben und schlafen kann und nicht am nächsten Morgen direkt wieder raus muss. Davon gibt es aktuell zu wenig." Dr. Nora Sellner, Sozialwissenschaftlerin Technische Hochschule Nürnberg

Im angrenzenden Stadtviertel Kalk wurden unter der Gehweg-Überdachung eines Kaufhauses Blumenkübel aufgestellt. Die Hälfte der Pflanzen darin sind vertrocknet. Der einzige Grund um sie aufzustellen, sei es, obdachlosen Menschen dort den Platz zu nehmen, sagt der Sozialwissenschaftler und Linken-Politiker Günther Bell.

Zwar könne er verstehen, dass Geschäftsinhaber mit dort Schlafenden ein Problem haben, aber die Vertreibung führe zu nichts. Die obdachlosen Menschen zögen einfach nur weiter, das Problem verlagere sich, weil nicht ausreichend Schlafmöglichkeiten in der Stadt vorhanden seien. Er sammelt Beispiele für diese "ausgrenzende Architektur“, bittet die Bürger ihm diese zu schicken und veröffentlicht sie auf einer Internetseite.

Problematik muss sichtbarer werden

Eine Parkbank vor einer Mauer mit Armlehnen

Armlehnen an einer Bank - hinlegen wird erschwert

Wenn obdachlose Menschen vertrieben werden, dann werde das zu einem gesellschaftlichen Problem. Denn nur wer sichtbar ist, könne auch auf die eigenen Probleme aufmerksam machen, sagt Günther Bell. Zur Vertreibung gehört für ihn auch eine neue Generation Sitzbänke, die von der Stadt aufgestellt werden.

Auf denen können obdachlose Menschen nicht mehr schlafen. Weil in der Mitte eine zusätzliche Armlehne angebracht ist.

Die Kritik daran, weist die Stadt zurück. Die Armlehne sei ein Wunsch der Seniorenvertretung gewesen, damit ältere Menschen besser aufstehen können. Auch die Deutsche Bahn montiert solche Bänke auf ihren Bahnsteigen. Diese seien kundenfreundlicher: "Das Design richtet sich nicht gegen Wohnungslose. Wir gehen auf den Wunsch der Reisenden ein, separat zu sitzen und sich abstützen zu können", teilt die Bahn auf Anfrage mit.

Unsere Quellen:

  • Reporter vor Ort
  • "Heimatlos in Köln e.V.“
  • Katholische Hochschule NRW
  • Stadt Köln Deutsche Bahn

Weitere Themen