Antisemitismusbericht: Margot Friedländer auf dem Cover der Vogue

Aktuelle Stunde 18.06.2024 24:15 Min. UT Verfügbar bis 31.12.2024 WDR Von Mathea Schülke

Hass auf Juden ist in NRW an der Tagesordnung

Stand: 18.06.2024, 12:50 Uhr

"Nie wieder ist jetzt" und Judenhass habe in NRW keinen Platz, sagt die Landesregierung. Die Realität sieht anders aus: Die Zahl der antisemitischen Vorfälle ist 2023 landesweit um mehr als 150 Prozent gestiegen.

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Oktober 2023: Ein Mann klingelt an der Tür eines jüdischen Ehepaars in Bonn. Er soll sie bedroht haben, mit einer abstoßenden Anspielung auf den millionenfachen Mord an den Juden in deutschen Vernichtungslagern in der Nazi-Zeit: "Beim nächsten Mal komme ich mit meinem großen Aschenbecher und da passt die Asche von 500 Güterwagen rein." Das betroffene Paar in Bonn berichtet, dass sie nicht zum ersten Mal an der Tür bedroht wurden.

Auch 2024 weiter hohe Zahlen

Der Fall ist nur einer aus dem Jahresbericht der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias), der am Dienstag in Düsseldorf vorgestellt wurde. Insgesamt gab es 2023 demnach in NRW 664 antisemitische Vorfälle. Das ist ein Anstieg um 152 Prozent gegenüber dem Vorjahr. 2023 gab es laut Rias landesweit allein 372 Fälle mit israelbezogenem Antisemitismus.

Für 2024 gibt es noch keine Statistik. Aber der Trend sei leider ungebrochen, sagte Jörg Rensmann von Rias. Im Schnitt seien 2023 13 Vorfälle pro Woche gemeldet worden. Er sprach von einem "Alarmsignal" und schilderte, wie unsicher sich viele Juden in NRW fühlen.

Antisemitismus sei milieuübergreifend. Rensmann warnte davor, den "falschen Eindruck" zu erwecken, dass er schwerpunktmäßig bei Migranten vorkomme.

Dass Hass, Hetze und Gewalt gegen Juden auch in NRW zugenommen haben, ist seit dem Hamas-Terrorangriff auf Israel vom 7. Oktober traurige Realität. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) und die Landes-Antisemitismus-Beauftragte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hatten dazu bereits in den letzten Monaten Statistiken und Berichte vorgelegt.

Brandanschlag und Vernichtungstiraden

Das Besondere am Rias-Report ist, dass hier nicht nur Straftaten wegen Antisemitismus dokumentiert werden, sondern auch Fälle aus dem Alltag, die Jüdinnen und Juden gemeldet haben - ohne Anzeige zu erstatten. Eine Auswahl der im Jahresbericht erwähnten, sehr unterschiedlichen Fälle:

  • Ruhrgebiet, Oktober 2023: Das Wohnhaus einer jüdischen Familie wird in zwei Nächten mit bengalischen Fackeln beworfen. Der Familie gelingt es, das Feuer zu löschen. Das Haus der Familie wird mit Parolen wie "Fuck Israel" und "Free Palestine" besprüht.
  • NRW, nach dem 7. Oktober 2023: In sechs Fällen werden Wohnhäuser mit einem Davidstern markiert. Diese Kennzeichnung erinnert an die Verfolgung der Juden im nationalsozialistischen Deutschland.
  • Meschede, 19. Oktober 2023: Ein Schüler spricht nach dem Terrorangriff der Hamas ohne Bezug zum Unterricht davon, dass Jüdinnen und Juden "Lügner und Verbrecher" seien, die man "vernichten müsse".
  • Köln, November 2023: Mitarbeiter eines israelischen Restaurants stellen fest, dass am Aushang des Menüs ein Aufkleber angebracht wurde, auf dem Israel als "Apartheidsstaat" verunglimpft wird.

Antisemitische Attacken, Bedrohungen, Anfeindungen und Beschimpfungen kommen dem Bericht zufolge überall im Alltag in Nordrhein-Westfalen vor: auf der Straße, in Bildungseinrichtungen und öffentlichen Gebäuden, in der Straßenbahn, am Arbeitsplatz, im Fußballstadion, im Internet.

Wie der Hamas-Terror Juden in der Diaspora traumatisiert

WDR Lebenszeichen 16.06.2024 28:53 Min. Verfügbar bis 14.06.2025 WDR 5


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"Unzumutbare" Lage für Juden an Hochschulen

Nicole Pastuhoff vom jüdischen Studierendenverband, Jörg Rensmann (Rias) und NRW-Ministerin Josefine Paul (v.l.n.r.) bei der Vorstellung des Berichts

Nicole Pastuhoff vom jüdischen Studierendenverband, Jörg Rensmann (Rias) und NRW-Ministerin Josefine Paul (v.l.n.r.) bei der Vorstellung des Berichts

Nicole Pastuhoff, Präsidentin des Jüdischen Studierendenverbands NRW, schilderte bei der Vorstellung des Berichts die "sehr bedrohliche Situation" an den Hochschulen. "Unzumutbare" Plakate bei den laufenden Besetzungen von Palästina-Gruppen würden stehengelassen - teilweise auch von der Polizei. Und Hochschulleitungen fürchteten das Bild der Räumung, sagte Pastuhoff.

Mehrfach wurde bei der Vorstellung des Berichts erwähnt, dass Polizisten in NRW Antisemitismus-Betroffenen von einer Strafanzeige abgeraten hätten. Jörg Rensmann von Rias bestätigte dies, nannte aber keine Zahlen, wie oft dies vorkomme.

Die ebenfalls anwesende NRW-Familien- und Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne) sagte, man müsse davon ausgehen, dass die wahre Anzahl von antisemitischen Vorfällen um ein Vielfaches höher sei. Antisemitismus sei "Gift für unsere demokratische Gesellschaft".