Antisemitismusbeauftragte: Mehr Judenhass in NRW seit dem 7. Oktober
Stand: 29.05.2024, 11:10 Uhr
Seit dem Hamas-Überfall auf Israel hat der offen gezeigte Antisemitismus auch in NRW stark zugenommen. Die Landes-Antisemitismusbeauftragte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger geht davon aus, dass immer noch nicht alle Straftaten angezeigt werden.
Von Martin Teigeler
Die nordrhein-westfälische Antisemitismusbeauftragte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zeigt sich tief besorgt über den Judenhass auch in NRW. "Festzuhalten ist sowohl für die strafrechtlich relevanten Delikte als auch für Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze: Durch den 7. Oktober hat sich eine neue Dynamik in der antisemitischen Artikulation und den Taten in Nordrhein-Westfalen entwickelt", teilte die frühere FDP-Bundesjustizministerin am Mittwoch in Düsseldorf in ihrem Jahresbericht mit.
Zwar seien die Statistiken in den vergangenen Jahren schon auf einem hohen Niveau gewesen, mit dem Terrorangriff der Hamas habe "sich der Antisemitismus aber neu Bahn gebrochen". Auch bei Vorfällen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze habe der 7. Oktober zu einem deutlichen Anstieg des israelbezogenen Antisemitismus geführt.
Antisemitische Vorurteile in "Mitte der Gesellschaft"
Die Antisemitismusbeauftragte Leutheusser-Schnarrenberger rief dazu auf, Strategien der Antisemitismusprävention zu hinterfragen. Denn antisemitische Vorurteile seien mittlerweile "anschlussfähig bis in die Mitte unserer Gesellschaft". Gerade das mache Antisemitismus so gefährlich und die Entwicklung von Gegenstrategien herausfordernd.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) bei der Vorstellung des Antisemitismus-Berichts
Leutheusser-Schnarrenberger geht weiterhin davon aus, "dass immer noch nicht alle Straftaten und Vorfälle gemeldet und erfasst werden". Im Spätsommer will sie eine neue Dunkelfeld-Studie vorstellen. Dazu würden Interviews mit Jüdinnen und Juden zu ihren Alltagserfahrungen in NRW ausgewertet.
Maßnahmen gegen Antisemitismus vorgeschlagen
Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte bei der Vorstellung des NRW-Verfassungsschutzberichts 2023 im April einen Anstieg von 65 Prozent bei den antisemitischen Delikten in NRW vermeldet.
In ihren Handlungsempfehlungen schlägt Leutheusser-Schnarrenberger unter anderem vor, dass angehende Lehrkräfte sich in ihrer Ausbildung verstärkt mit dem Antisemitismus, "in all seinen Facetten", beschäftigen sollen. Auch ein eigenes Meldeformular für Judenhass an Schulen schwebt der Beauftragten vor. Sie hatte dies bereits vor einem Jahr angeregt. Derzeit würden von den zuständigen Ressorts der Landesregierung noch Datenschutzfragen geklärt, sagte sie.
Um Hasspropaganda in sozialen Medien besser zu erkennen, will Leutheusser auch eine Stärkung der Medienkompetenz. Zudem forderte sie "professionelle" Angebote zur Aufklärung über den Nahost-Konflikt auf Plattformen wie TikTok, die bei jungen Leuten beliebt sind.
Wenn Juden Angst haben, Strafanzeige zu stellen
Leutheusser-Schnarrenberger berichtete aus ihrem Arbeitsalltag. Jüdinnen und Juden wendeten sich auch direkt und persönlich an sie. Teilweise sei es bei den Eingaben darum gegangen, Sicherheitsmaßnahmen für jüdische Einrichtungen zu verbessern.
Teils schrecken Juden den Schilderungen der Beauftragten zufolge davor zurück, Strafanzeige nach antisemitischen Vorfällen zu erstatten. Denn sie fürchten, die Tatverdächtige würden über das Strafverfahren an die Adresse des Anzeigenerstatters kommen. Dies lasse sich aber vermeiden, betonte Leutheusser und rief dazu auf, alle Straftaten anzuzeigen.
Über dieses Thema berichtet der WDR am 29.05.2024 auch in den Hörfunk-Nachrichten und in der Aktuellen Stunde