Die Kölner Kevelaer-Bruderschaft wandert einmal im Jahr 100 Kilometer nach Kevelaer

Warum ein tiefgläubiger, engagierter Christ jetzt aus der Kirche austritt

Stand: 12.02.2023, 08:00 Uhr

Michael Rind ist tiefgläubig - und tritt trotzdem aus der Kirche aus. Seine Frau bleibt drin. Ihre Geschichte zeigt beispielhaft das Ringen vieler Menschen mit ihrer Mitgliedschaft in der Kirche.

Von Christina Zühlke

Michael Rind (54) bleiben noch 60 Minuten. 60 Minuten in seiner Kirche nach über 50 Jahren. Aber noch sitzt er im Café in der Bergisch Gladbacher Innenstadt und will erzählen, wie eng er mit seiner Kirche verbunden ist. Wie wichtig ihm seine jährliche Wallfahrt nach Kevelaer ist, zum Beispiel. 100 Kilometer hin und 100 zurück. In einer Woche. Zu Fuß.

Schon als Kind jedes Jahr auf Wallfahrt

Michael Rind

Michael Rind

Aber ja, lacht der Mann mit der tiefen Stimme, es gab auch immer wieder Menschen, die ihn skeptisch angeschaut haben deswegen: "Denn de facto laufen da im Hochsommer 120 Vollbekloppte einem Holzkreuz hinterher." Wer aber genauer hinschaue, der könne den Männern, Frauen und Kindern der Kölner Kevelaer Bruderschaft anmerken, wie "bereichernd und beseelend" das sei, was sie gemeinsam erlebten.

Michael Rind ist als Kind zum ersten Mal mitgelaufen. Schon sein Großvater war dort engagiert. Und auch seine Frau hat er vor fast 40 Jahren bei der Wallfahrt kennengelernt. Ute Rind sagt, ihr sei es gar nicht gut gegangen, als ihr Mann ihr gesagt habe, dass er austreten möchte: "Ich hab ein komisches Gefühl gehabt und eine schlaflose Nacht. Unser gemeinsamer Glaube war uns immer so wichtig."

Traurigkeit, aber auch ein befreiendes Gefühl

Michael Rind klingt fast trotzig : "Die Verbundenheit und die Tiefgläubigkeit, die schafft kein Kardinal und kein Papst mir auszutreiben." Aber in seiner Kirche könne er trotzdem nicht bleiben. Deshalb macht er sich um kurz vor 16 Uhr auf den Weg. Der Notar wartet. Am Amtsgericht Bergisch Gladbach gab es keine Termine mehr.

"Ich wurde getauft, als ich zwei Tage alt war, da ist es schon traurig, wenn man diese Glaubensgemeinschaft verlässt." Michael Rind

Es sind nur wenige Schritte vom Café bis zur Kanzlei. Michael Rind gibt einen kurzen Einblick in seine Gefühlslage: "Zehn Prozent mulmig, 90 Prozent ein befreiendes Gefühl. Ob es endgültig sei, wisse er nicht. Wenn sich die Kirche ändern würde, wäre der Rückweg ja nicht versperrt: "Ich glaube allerdings, dass ich das mit Sicherheit nicht mehr erleben werde."

Höchststand an Kirchenaustritten

Michael Rind hat Freunde, die als Kinder von Priestern missbraucht wurden. Wie Aufklärung von Missbrauch verzögert und vertuscht wird, findet er unerträglich. Auch, dass Frauen diskriminiert werden oder Homosexuelle, das kann und will er nicht mehr unterstützen. Und er ist nicht der Einzige.

Das Amtsgericht Köln, ganz in der Nähe von Rinds Wohnort, verzeichnete im Jahr 2022 erneut einen Höchststand an Kirchenaustritten. 20.331 Kölnerinnen und Kölner kehrten der evangelischen und katholischen Kirche den Rücken, fast 1.000 mehr als im Jahr 2021.

Die Zahlen spiegeln den Trend in ganz Nordrhein-Westfalen. Im ersten Halbjahr 2022 beendeten laut NRW-Justizministerium mehr als 111.000 Menschen ihre Kirchenmitgliedschaft - so viele wie noch nie.

Kirche als tägliche Stärkung

Ute Rind

Ute Rind

Für Michael Rind dauert der Austritt nur wenige Minuten. Eine Unterschrift – und die Kirche hat einen tiefgläubigen, engagierten Christen weniger. Er würde trotzdem gerne Vorsitzender der Kevelaer Bruderschaft bleiben. Den Vereinsvorstand hat er informiert. Viele hätten Verständnis, sagt er. Entschieden sei aber noch nichts.

Seine Frau Ute hat in den vergangenen Monaten gesehen, wie er an seiner Kirche gelitten hat. Das Ringen vieler Menschen um ihre Mitgliedschaft in der Kirche, spiegelt sich in diesem Paar. Bei Gott bleiben, aber sich treu bleiben. Er muss dafür gehen, sie bleibt.

"Ich bin noch nicht so weit. Ich kann diesen Schritt nicht tun, weil ich nicht von den Sakramenten lassen kann." Ute Rind

Ute Rind sagt, sie möchte weiter zur Kommunion gehen können, auch zur Beichte. Sie brauche die Kirche für ihre "tägliche Stärkung."

"Ich sorge mich um diese Glaubensgemeinschaft"

Ihr Mann sagt, er könne den Priestern nicht mehr glauben, die Nächstenliebe predigten, aber nicht danach handelten. Ganz weg bleiben werde er trotzdem nicht: "Mein Enkel geht jetzt bald zur Erstkommunion. Das versuche ich im Rahmen meiner Möglichkeiten zu unterstützen. Und der wird von mir, wie meine Töchter auch, meine Glaubensüberzeugung vermittelt bekommen."

Wie viel Geld er jetzt spart, weiß Michael Rind gar nicht. Er hat aber auch schon entschieden, wer das Geld in Zukunft bekommen soll. Umsteuern e.V. – ein Kölner Verein, der sich um Menschen kümmert, die als Kinder von Priestern missbraucht wurden. Dort ist er seit kurzem auch als Kassenprüfer engagiert.

Dass er im Gespräch nach dem Austritt von der Kirche trotzdem immer noch als „wir“ spricht, überrascht ihn nur kurz. Das sei ja ein Gewöhnungsprozess: "Und zum zweiten hat mit meiner soeben geleisteten Unterschrift nicht die Tatsache aufgehört, dass ich mich weiter um diese Glaubensgemeinschaft sorge und dass ich auch weiterhin Position beziehe."