Im Nahen Osten weitet sich der Konflikt aus. Wie ist die Lage nach dem iranischen Angriff auf israelische Städte? Und wie im Libanon, wo Israel eine Bodenoffensive begonnen hat? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
- Wie ist die Lage in Israel nach dem iranischen Raketenangriff?
- Was passiert gerade an der libanesisch-israelischen Grenze?
- Wie geht es den Menschen im Libanon?
- Wer kämpft im Nahen Osten gerade gegen wen - und was bedeutet das für Israel?
- Welche Rolle spielen die USA?
- Wie ist die aktuelle Situation in Gaza?
Die Lage im Nahen Osten ist derzeit sehr angespannt, dynamisch und unübersichtlich. Einen Überblick über die aktuellen Nachrichten aus Israel, Gaza, dem Libanon, Iran und Jemen findet ihr hier:
Wie ist die Lage in Israel nach dem iranischen Raketenangriff?
Der Iran hat am Dienstagabend rund 180 Raketen auf Israel abgefeuert, wie die israelische Armee mitteilte. In ganz Israel wurde Alarm ausgelöst. Ein Todesopfer gab es im besetzten Westjordanland, wie der örtliche Gouverneur mitteilte. In Tel Aviv wurden zwei Menschen durch die Raketen verletzt. Einschläge wurden im Zentrum und im Süden Israels registriert. Die meisten Raketen wurden laut israelischem Militär von Israel und einer von den USA geführten Verteidigungskoalition abgefangen. Israel verfügt über hochmoderne Verteidigungssysteme zur Abwehr von Raketen und Drohnen. Millionen Israelis suchten Zuflucht in Schutzräumen. Es war nach April der zweite Angriff des Irans auf Israel in diesem Jahr.
Korrespondentin Hanna Resch berichtet aus Tel Aviv
Aktuelle Stunde . 02.10.2024. 40:01 Min.. Verfügbar bis 02.10.2026. WDR.
Raketen am Himmel von Tel Aviv
Die Luftstreitkräfte der Revolutionsgarden hatten unter anderem zwei israelische Luftwaffenstützpunkte und das Hauptquartier des israelischen Geheimdienstes Mossad ins Visier genommen. Der Angriff sei eine Antwort auf die jüngste Tötung von Anführern der pro-iranischen Hisbollah und der Hamas.
Nach den iranischen Raketenangriffen auf Israel hat die israelische Armee am Dienstagabend vorläufig Entwarnung gegeben. "Im Moment" gehe keine Gefahr mehr vom Iran aus, erklärte die Armee. Die Menschen könnten die Schutzräume wieder verlassen.
Gleichzeitig kündigte Israel Vergeltung an. "Der Iran hat heute Abend einen großen Fehler gemacht – und er wird dafür bezahlen", sagte Regierungschef Netanjahu. Armeesprecher Daniel Hagari betonte, der Iran habe "eine schwerwiegende Tat" begangen, die den Nahen Osten in Richtung Eskalation treibe.
Als mögliche Ziele gelten iranische Anlagen zur Gas- und Ölproduktion, was die Wirtschaft des Landes massiv treffen könnte. Der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, sagte am Mittwochmorgen, der Iran versuche, den Nahen Osten in den Abgrund zu führen und warnte vor einer Ausweitung des Konfliktes nach Europa:
Irans Außenminister Abbas Araghchi hat unmittelbar nach dem Raketenangriff seines Landes auf Israel mit europäischen Kollegen telefoniert. Gespräche führte er laut der iranischen Nachrichtenagentur Irna unter anderem mit Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Kollegen in Großbritannien und Frankreich. Die Raketenoperation sei nun abgeschlossen, sagte Araghchi. Sollte Israel Vergeltungsmaßnahmen ergreifen, werde die Antwort des Iran "noch härter ausfallen". Teheran strebe keine Eskalation an, fürchte aber auch keinen Krieg, so Araghchi.
Was passiert gerade an der libanesisch-israelischen Grenze?
Israel war am Dienstag mit Bodentruppen in den Libanon einmarschiert und hatte in der Nacht zu Mittwoch erneut die libanesische Hauptstadt Beirut angegriffen. Es seien mindestens fünf israelische Angriffe auf die südlichen Vororte der Hauptstadt verübt worden, berichteten Medien unter Berufung auf eine libanesische Sicherheitsquelle.
Im libanesischen Ort Udaissa, der direkt an der Grenze zu Israel liegt, soll es am Mitwoch erstmals seit Beginn der Bodenoffensive direkte Kämpfe zwischen Hisbollah und israelischen Bodentruppen gegegeben haben. Laut Hisbollah hätten Mitglieder deren Miliz im Morgengrauen dort mit Kräften der israelischen Infanterie gekämpft und sie zum Rückzug gezwungen. Auf israelischer Seite habe es Opfer gegeben. Das israelische Militär äußerte sich zunächst nicht zu den angeblichen Bodenkämpfen.
Die israelische Luftwaffe greift zudem weiterhin Ziele im Libanon an, darunter erneut südlich der Hauptstadt Beirut. Auch in mehreren Orten im Süden, im Zentrum sowie im Nordosten des Landes setzte Israels Militär seine Angriffe demnach fort, darunter nahe der Küstenstadt Tyros und mit schweren Angriffen im Ort Nabatäa. Allein dort habe es innerhalb von 24 Stunden 22 Tote und 47 Verletzte gegeben. Im Verlauf eines Tages zählte das libanesische Gesundheitsministerium insgesamt 55 Tote und mehr als 150 Verletzte im Libanon.
Israel erklärte, es handele sich um eine "begrenzte Offensive" gegen die Terrororganisation Hisbollah. Israel wird seit Wochen aus dem Libanon mit Raketen beschossen. Deshalb mussten Zehntausende Israelis, die im Grenzgebiet zum Libanon leben, ihre Häuser verlassen.
Israels Luftwaffe nahm nach eigener Aussage mehrere Waffenfabriken und wichtige Infrastruktur der Hisbollah ins Visier. Nach Einschätzungen des ARD-Korrespondenten Jan-Christoph Kitzler halte der Großteil der israelischen Bevölkerung die Bodenoffensive im Libanon für "überfällig". Viele Israelis hielten es für "richtig", dass Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah getötet worden sei.
Hier gibt es mehr Informationen zur aktuellen Bodenoffensive des israelischen Militärs im Libanon:
Wie geht es den Menschen im Libanon?
Flüchtlinge in Beirut
Die Lage ist dramatisch. Der Libanon meldete Hunderte Tote und Verletzte. Die Angriffe verbreiten Panik und treiben Menschen in die Flucht. Nach Angaben des geschäftsführenden Ministerpräsidenten Najib Mikati könnte die Zahl der Vertriebenen weit höher liegen als zuletzt von den UN angegeben: Geschätzt seien es bis zu eine Million Menschen, so Mikati bei einer Krisensitzung des Kabinetts.
In der libanesischen Hauptstadt Beirut sind Tausende Flüchtlinge, die sich in ihren Häusern im Süden von Beirut durch den israelischen Beschuss nicht mehr sicher fühlen. Viele Syrer, die im Libanon Schutz vor dem Bürgerkrieg in ihrem Land fanden, versuchen nun, wieder in ihre Heimat zu fliehen.
Lara Dovifat von der Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" sprach gegenüber dem WDR davon, dass es dort gerade einen "enormen Bedarf" an Hilfe gebe. Es würden grundlegende Dinge wie Matratzen, Decken, Trinkwasser und Hygienekits nachgefragt. Das Gesundheitssystem im Libanon sei schon vorher "extrem am Limit" gewesen.
Angesichts der steigenden Zahl an verletzten und bedürftigen Personen werde die Hilfsorganisation ihre Arbeit nun noch weiter ausbauen müssen. "Ärzte ohne Grenzen" ist mit mobilen Kliniken und Psychologen-Teams im Land unterwegs, um Erste Hilfe zu leisten.
Mehr Informationen gibt es hier:
Wer kämpft im Nahen Osten gerade gegen wen - und was bedeutet das für Israel?
Israel kämpft im Nahen Osten derzeit an mehrere Fronten - und kann aus allen Himmelsrichtungen angegriffen werden.
- Im Süden drohen die Huthi-Rebellen aus dem knapp 2.000 Kilometer entfernten Jemen. Immer wieder feuert die Miliz Raketen Richtung Israel ab. Vor einigen Tagen hat das israelische Militär reagiert und Stellungen der Huthi im Jemen angegriffen. Die Huthi erklären, dass ihre Angriffe erst dann eingestellt werden, wenn Israel den Krieg gegen die Palästinenser beendet.
- Im Norden wird Israel von der Hisbollah-Miliz im Libanon beschossen. Sie wurde 1982 von der iranischen Revolutionsgarde gegründet. Sie verfügt über ein Arsenal von Zehntausenden Raketen und ausgebildeten Kämpfern, die jahrelang in Syrien gegen sunnitische Islamisten gekämpft haben. Vor allem die israelische Grenzregion ist immer wieder Ziel von Raketen aus dem Libanon.
- Im Westen wird Israel von der islamistischen Hamas im Gazastreifen bedroht. Der Angriff von Kämpfern der Miliz auf Israel vor einem Jahr löste massive Vergeltungsangriffe auf Gaza aus. Israel beabsichtigt, die Palästinenser-Organisation zu zerschlagen.
- Im Osten wartet der Iran auf seine Chance, dem Erzfeind Israel möglichst großen Schaden zuzufügen. Hamas und Hisbollah sind Teil der sogenannten Achse des Widerstandes, die vom Iran geführt wird. Ihr gehören auch die Huthi-Rebellen im Jemen sowie militante Gruppen im Irak und in Syrien an. Bereits im April 2024 hatte der Iran Israel mit mehr als 300 Kampfdrohnen und Raketen angegriffen. Am Dienstag folgte der zweite Großangriff mit Raketen.
Welche Rolle spielen die USA?
Die Vereinigten Staaten sind der wichtigste und engste Verbündete Israels. Doch die Warnungen der US-Regierung vor einer israelischen Bodenoffensive im Libanon blieben bisher ohne Wirkung. "Wir sollten jetzt einen Waffenstillstand haben", sagte US-Präsident Joe Biden zuletzt am Montag und machte klar, dass er nichts von einem Einmarsch israelischer Truppen im Libanon hält.
US-Präsident Joe Biden
Allerdings scheint der israelische Regierungschef Netanjahu jedes Mal, wenn Washington eine Verhandlungslösung oder einen Waffenstillstand fordert, auf noch mehr militärische Gewalt zu setzen. Das könnte auch die US-Präsidentschaftswahl in wenigen Wochen beeinflussen. Insbesondere linke und muslimische Gruppen in den USA üben scharfe Kritik an der Rolle der USA im Nahost-Konflikt.
Am Dienstagabend befahl US-Präsident Biden den US-Truppen in der Region, iranische Raketen vor dem israelischen Luftraum abzufangen.
Wie ist die aktuelle Situation in Gaza?
Als Reaktion auf den Terrorangriff der Hamas vor einem Jahr, bei dem 1.139 Menschen in Israel ermordet (mehrheitlich israelische Zivilisten) und 250 Geiseln nach Gaza entführt wurden, startete Israel diverse Militäraktionen in Gaza, die immer noch andauern. Dabei ging es laut israelischer Regierung darum, die Hamas und deren Mitglieder unschädlich zu machen sowie um die Befreiung der entführten Geiseln.
Laut der von der Hamas kontrollierten palästinensischen Gesundheitsbehörde sind im vergangenen Jahr mindestens 41.689 Palästinenser bei israelischen Militäraktionen im Gazastreifen getötet worden. Weitere 96.625 Personen seien verletzt worden. Aktuell berichten die palästinensischen Behörden, deren Aussagen oft nicht unabhängig geprüft werden können, von einem Vorstoß der israelischen Armee in der südlichen Gaza-Stadt Chan Junis. Dabei sollen bei Luft- und Bodenangriffen mindestens 60 Menschen ums Leben gekommen sei. Viele der Opfer seien Frauen und Minderjährige gewesen, teilten die von der Hamas kontrollierten Rettungsdienste mit.
Doch auch wenn es immer wieder berechtigte Zweifel an den konkreten Zahlen und Ereignissen gibt, die die Hamas meldet: Dass die Lage für die Zivilbevölkerung in Gaza katatrophal ist, steht außer Frage. Derzeit sind 90 Prozent der rund zwei Millionen Einwohner auf der Flucht und auf humanitäre Hilfe angewiesen. Eine halbe Million Menschen leidet laut der Hilfsorganisation "SOS-Kinderdörfer" unter akutem Hunger. Nur elf Prozent der Gebiete in Gaza gelten als "humanitäre Zonen" und sind somit zumindest sicherer als der Rest der Region- entsprechend überbevölkert ist es dort. Die Folgen sind: mangelnde Hygiene, Krankheiten, Traumata und Aggressionen. Auch Bildung ist derzeit dort kaum möglich, da ein Großteil der Schulen zerstört oder nicht in Betrieb sind.
Unsere Quellen:
- Verlinkte Berichte von tagesschau.de zur Lage in Nahost
- WDR-Interview mit Politikberater Cornelius Adebahr
- Nachrichtenagentur dpa
- New York Times
- AFP