"Nicht einschüchtern lassen": EU-Politiker McAllister fordert Reaktion auf Russland

Stand: 05.10.2022, 13:42 Uhr

Russland lässt den Krieg in der Ukraine immer weiter eskalieren. David McAllister (CDU), Vorsitzender des auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, fordert eine entschlossene und geeinte Reaktion des Westens.

Von Timo Landenberger

Die EU-Staaten einigten sich am Mittwoch auf ein neues Sanktionspaket gegen Russland und reagierten damit bereits auf die Eskalationen im Ukraine-Krieg durch Moskau. Demnach soll ein von den G7-Staaten unterstützter Preisdeckel für Ölimporte aus Russland eingeführt werden. Die Rede ist außerdem von Importverboten für russische Stahlprodukte sowie von Exportverboten für Schlüsseltechnologien, etwa im Luftfahrtsbereich. Die Einigung muss noch ein abschließendes Genehmigungsverfahren durchlaufen und soll ab Donnerstag in Kraft treten.

WDR: Annexion ukrainischer Gebiete, Mobilmachung und nukleares Säbelrasseln: Herr McAllister, wie besorgt sind sie angesichts der jüngsten Entwicklungen im Ukraine-Krieg?

David McAllister: Es ist schockierend, wie Putin den Angriffskrieg gegen die Ukraine immer weiter eskaliert. Der Kreml setzt auf völlige Konfrontation. Das darf uns nicht einschüchtern. Umso wichtiger ist, dass die Europäische Union Geschlossenheit zeigt und die Ukraine mit allen verfügbaren Mitteln unterstützt.

WDR: Putin hat angekündigt, Militärschläge in den annektierten Gebieten künftig als Angriff auf russisches Staatsgebiet zu werten und dabei den Einsatz von Nuklearwaffen als mögliche Antwort ins Spiel gebracht. Wie ernst sollte das genommen werden?

McAllister: Diese russischen Drohungen müssen wir ernst nehmen und dennoch dürfen wir uns nicht einschüchtern lassen. Die internationale Staatengemeinschaft hat diese völkerrechtswidrige Annexion auf das Schärfste verurteilt. Die Referenden sind null und nichtig. Sie verstoßen gegen alle Prinzipien der UN-Charta. Die Ukraine ist ein unabhängiges Land mit international anerkannten Grenzen. Putin missachtet die regelbasierte internationale Ordnung, verletzt die Grundrechte der Ukraine und gefährdet massiv die globale Sicherheit.

WDR: Verurteilungen interessieren Putin allerdings wenig. Wie sollte die Reaktion der EU aussehen, um tatsächlich etwas zu bewirken?

McAllister: Die bisher beschlossenen Sanktionspakete der Europäischen Union und unserer westlichen Partner sind in ihrem Umfang beispiellos und haben bereits schwerwiegende Auswirkungen auf die russische Wirtschaft. Aber wir müssen weiter daran arbeiten, dass die bestehenden Maßnahmen nicht umgangen werden können.

Es liegt nun an den EU-Staaten, das am Mittwoch unter den EU-Botschaftern vereinbarte achte Sanktionspaket vollständig umzusetzen. Dabei geht es im Kern darum, die wirtschaftliche Basis Russlands weiter zu schwächen. Alle Sanktionen erschweren es dem Kreml, seine Kriegsmaschinerie aufrecht zu halten. Die G7-Staaten haben sich bereits grundsätzlich auf die Einführung einer Preisobergrenze auf russisches Öl geeinigt. Nun gilt es, die Umsetzung in der EU zu gestalten. Entscheidend sind dabei Entschlossenheit und Einigkeit.

WDR: Gilt das auch für die militärische Unterstützung der Ukraine? Hier waren sich die EU-Staaten in der Vergangenheit nicht immer so einig.

McAllister: Das ist keine Angelegenheit der Europäischen Union, sondern obliegt der Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten. Einige Länder machen da sicher mehr als andere, aber das ist eine individuelle Entscheidung. Als EU haben wir zum ersten Mal einen Drittstaat mit militärischer Ausrüstung wie zum Beispiel Munition oder Panzerabwehrwaffen über die European Peace Facility unterstützt. Die zur Verfügung gestellten Mittel umfassen derzeit insgesamt 2,5 Milliarden Euro. Und die EU ist bereit, weitere Summen für die Ukraine aufzubringen.

WDR: Dennoch fordert die Ukraine immer wieder verstärkte militärische Unterstützung. Ende vergangener Woche hat die Regierung einen Antrag auf einen beschleunigten Beitritt zur NATO gestellt.

McAllister: Eine NATO-Mitgliedschaft steht jedem europäischen Staat offen, der in der Lage ist, die damit verbundenen Verpflichtungen und Auflagen zu erfüllen. Die Ukraine hat eine klare europäische und transatlantische Perspektive. Diese gilt es durch Partnerschaften und Kooperationen zu stärken und auszubauen. Über einen möglichen Beginn des Aufnahme-Prozesses müssten die 30 NATO-Mitgliedstaaten einstimmig entscheiden.

WDR: Durch einen beschleunigten Beitritt der Ukraine würde die NATO aber unmittelbar zur Kriegspartei und das betrifft dann alle Mitglieder, auch die allermeisten EU-Staaten.

McAllister: Jetzt geht es darum, der Ukraine vor allem praktische Unterstützung zukommen zu lassen, politisch, finanziell, wirtschaftlich und militärisch. Aber eins ist klar: Seit Kriegsbeginn lautet die Prämisse der NATO, keine Kriegspartei zu werden. Mehrere NATO-Bündnispartner haben deutlich gemacht, dass kein Staat aufgenommen werden sollte, wenn er sich in einem aktiven Krieg befindet.

WDR: Seit der von Putin angekündigten Mobilmachung sind viele tausend Russen in die EU geflohen. Die meisten EU-Staaten sehen darin ein Sicherheitsrisiko, weshalb die Einreise eingeschränkt wurde. Die Bundesregierung hingegen plädiert dafür, den Kriegsdienstverweigerern Schutz zu gewähren. Wer hat Recht?

McAllister: Geboten ist hier eine abgestimmte europäische Position. In einem gemeinsamen Schengen-Raum sind nationale Alleingänge nicht zielführend. Dabei gilt es, den humanitären Verpflichtungen nachzukommen. Humanitäre Visa sollten nach einer umfangreichen Einzelfall-Prüfung auch für russische Staatsbürger erteilt werden. So sieht es das EU-Asylrecht vor. Eine pauschale Asyl-Zusage für russische Mobilisierungs-Verweigerer ist aber der falsche Weg. Es darf nicht dazu kommen, dass tausende russische Männer über die EU-Außengrenze unkontrolliert in die EU kommen. Das hätte ein erhebliches Sicherheitsrisiko zur Folge.

WDR: Die internationale Ordnung ist auf den Kopf gestellt. Wie geht es denn nun weiter?

McAllister: Dieser völkerrechtswidrige Angriffskrieg hat die internationale Friedens- und Sicherheitsarchitektur fundamental verändert. Das Verhältnis zu Russland wird in den nächsten Jahren konfrontativ sein, auch wenn der Krieg beendet sein sollte - zumindest so lange, wie Putin oder einer seiner Schergen im Kreml herrscht.

Diese neue Bedrohungslage führt dazu, dass wir in Europa mehr für unsere eigene Sicherheit tun müssen. Ziel der Europäischen Union muss aus meiner Sicht sein, dass wir uns zu einer echten Verteidigungsunion weiterentwickeln und dabei die europäische Säule innerhalb des NATO-Bündnisses stärken.

WDR: Eine europäische Armee inklusive?

Der Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments David McAllister, hinter ihm: Ursula von der Leyen.

McAllister: Die Frage, ob es eine europäische Armee oder eine Armee der Europäer geben wird, wird zu einem späteren Zeitpunkt geklärt. Jetzt geht es darum, konkrete Schritte in diese Richtung zu unternehmen. Das heißt unter anderem, dass wir in den nächsten Jahren unsere Kaufkraft bündeln und mehr gemeinsame europäische Rüstungs- und Verteidigungsprojekte entwickeln. Es geht nicht darum, NATO Fähigkeiten zu duplizieren, sondern mehr zur fairen Lastenteilung innerhalb des transatlantischen Bündnisses beitragen.

Außerdem muss die Europäische Union aktiver darin werden, russische und auch chinesische Propaganda und Desinformationen zu bekämpfen. Wir müssen falschen Behauptungen präventiv entgegentreten und uns dabei auch intensiver mit Drittstaaten austauschen, die weder auf der einen, noch auf der anderen Seite stehen, darunter Indien, Südafrika oder Indonesien. Denn es ist ein fundamentaler Unterschied, ob auf der Welt die Stärke des Rechts gilt oder das Recht des Stärkeren.

Weitere Themen