Walkie-Talkie

Explodierte Pager und Walkie-Talkies im Libanon: Das ist bekannt

Stand: 19.09.2024, 20:01 Uhr

Tausende Pager explodieren in den Taschen von vermeintlichen Hisbollah-Mitgliedern, vor allem im Libanon. Einen Tag später: Weitere Explosionen. Was oder wer steckt dahinter? Und sind unsere Handys sicher?

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Es klingt wie eine Szene aus einem Spionagefilm: Mehr oder weniger gleichzeitig explodieren am Dienstag tausende Pager in Händen oder Hosentaschen von vermeintlichen Mitgliedern der Terrororganisation Hisbollah im Libanon und in Syrien. Am Mittwoch explodieren hunderte weitere Geräte, offenbar Funkgeräte, sogenannte Walkie-Talkies.

Insgesamt sterben bei den zwei Explosionswellen nach Angaben aus dem Libanon mindestens 37 Menschen - rund 3.000 werden verletzt. Für die islamistische Hisbollah-Miliz ist klar: Das war der Erzfeind Israel, auch wenn sich bisher niemand zu dieser Aktion bekannt hat. Was wir bisland wissen - und was Gegenstand von Spekulation ist:

Libanon weiterhin unter Schock

WDR Studios NRW 19.09.2024 00:51 Min. Verfügbar bis 19.09.2026 WDR Online


Wie ist die aktuelle Lage?

Libanesische Soldaten und Feuerwehrleute versammeln vor einem Geschäft, in dem vermutlich ein Funkgerät explodiert ist

Geschäft im Libanon, in dem vermutlich ein Funkgerät explodiert ist.

Am Mittwoch hat es wieder Explosionen elektronischer Geräte im Libanon gegeben. Die Detonationen wurden aus mehreren Teilen des Landes gemeldet. Den Berichten zufolge handelte es sich bei den explodierten Geräten um Walkie-Talkies - also Funkgeräte.

Am Dienstag, einen Tag zuvor, explodierten im Libanon und in Syrien Pager, also Funkmeldeempfänger.

Was ist mit unseren Handys

Um es vorwegzunehmen: Unsere Handys sind nicht in Gefahr. Nico Lange, Senior Fellow der Münchner Sicherheitskonferenz und Lehrbeauftragter für Militärgeschichte an der Uni Potsdam, sagte dem WDR: "Da muss jetzt keiner Angst haben." Man müsse davon ausgehen, dass die Pager präpariert worden seien und dass die Lieferung abgefangen wurde.

"Da muss jetzt keiner Angst haben." Nico Lange, Sicherheitsexperte

"Die ersten Theorien, die da kursierten, man habe nur per Software und per Hack alle gleichzeitig über die Batterien zum Explodieren bekommen, das ist, glaube ich, eher was für einen Science-Fiction-Film", so Lange. "Das ist in dieser Weise nicht möglich." Moderne Smartphones schalteten sich ab, wenn sie zu heiß werden, erklärt der Experte.

Bild eines zu den explodierten Pagern baugleiches Modell

Ein handelsüblicher Pager, wie er früher häufiger benutzt wurde

Ein Sprecher des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) versicherte im Gespräch mit dem WDR, dass für die deutsche Bevölkerung keine Gefahr bestehe: "Niemand muss sich in Deutschland Gedanken machen." Auch die Einsatzkräfte in Feuerwehren und Krankenhäuser seien sicher. Handyakkus explodierten nicht, selbst, wenn sie sehr heiß werden.

Was sind eigentlich Pager und wer nutzt die noch?

Ein Pager wird benutzt, um eine Person zu erreichen. Die Person wird über den Pager angepingt, erhält zum Beispiel eine Handlungsaufforderung wie die Bitte um einen Rückruf. Mit dem Siegeszug der Handys wurden Pager weitgehend überflüssig. Man kann sie allerdings nicht orten, das machte die kleinen Empfänger wohl für die Hisbollah interessant. Ihre Anwendung finden Pager bei uns noch in Krankenhäusern oder bei der Feuerwehr.

Wurden die Pager abgefangen und manipuliert?

Nach dem aktuellen Stand der Ermittlungen wurden die Pager von der Hisbollah-Miliz bestellt. Hergestellt wurden sie nach Angaben der taiwanesischen Firma Gold Apollo von der in Budapest ansässigen BAC Consulting. Gold Apollo teilte mit, dass es die Markenrechte an die Ungarn abgegeben habe, aber nicht an der Produktion beteiligt gewesen sei.

Das fragliche Model AR-924 sei von BAC sowohl produziert als auch verkauft worden. "Das Gerät stammt nicht von uns. Es stand lediglich unsere Marke darauf", sagte Gold-Apollo-Firmengründer Hsu Ching-kuang. Eine Stellungnahme von BAC gibt es bisher nicht. Zudem kann die Homepage dieser Firma nicht mehr geöffnet werden. Wie die ungarische Online-Zeitung "24.hu" berichtet, existiert die Firma laut Firmenregister seit dem Jahr 2022. Sie befasst sich demnach offiziell mit Beratung. 

Überwachungskameras zeigen den Moment der Explosion in einem Gemüseladen

Eine Überwachungskamera zeigt den Moment kurz vor der Explosion in einem Gemüseladen

Nach Informationen eines hochrangigen libanesischen Sicherheitsbeamten hat der israelische Auslandsgeheimdienst Mossad die Pager schon Monate vor der Auslieferung mit Sprengstoff präpariert. Die Nachrichtenagentur Reuters zitiert den Beamten, der behauptet, bereits bei der Produktion sei eine kleine Menge Sprengstoff versteckt worden. "Der Mossad hat eine Platine mit Sprengstoff und einem Code in das Gerät eingeschleust. Es ist sehr schwierig, das mit irgendwelchen Mitteln zu entdecken, selbst mit Geräten oder Scannern", sagte der Sicherheitsbeamte.

Wie wurden die Explosionen der Pager ausgelöst?

"Es scheint mir eine plausible Erklärung zu sein, dass diese Pager präpariert wurden, um dann diese Aktion auszuführen", so Sicherheitsexperte Lange. "Theoretisch wäre es möglich, sogar mit einer bestimmten Nachricht." Die Empfänger würden angeregt, "das Gerät aus der Tasche zu nehmen und sich zum Beispiel vor's Gesicht zu halten.“

Das ist ganz offenbar passiert. Denn aus dem Libanon wird berichtet, dass nach der zeitgleichen Explosion der Funkempfänger viele der rund 3.000 Verletzten am Auge operiert werden mussten. "Die meisten Verletzten haben schwere Augenverletzungen, andere Chirurgen mussten Arme amputieren", sagte ein Augenarzt in einem der großen Krankenhäuser in Beirut. Der geschäftsführende libanesische Gesundheitsminister Firas Abiad sagte, die Menschen hätten vor allem Verletzungen an Augen, anderen Teilen des Gesichts sowie an Händen und Unterleib erlitten.

Nach WDR-Informationen könnten auf die Pager auch eine Schadsoftware installiert worden sein. Über einen Code oder Chip könnte die dann aktiviert worden sein. Allerdings setzt es enorme technische Fertigkeiten voraus, die Pager tatsächlich so zu erhitzen, dass sie zeitgleich den Sprengstoff entzünden.

Wer kann so einen effektiven Schlag gegen die Hisbollah durchführen?

Experte Lange sieht in dem Schlag gegen die Hisbollah "Insiderwissen und gute Aufklärungsarbeit" am Werk. "Man muss sehr gut verstehen, wie die Kommandostrukturen der Hisbollah funktionieren und muss erstmal darauf kommen, dass die diese Pager benutzen. Und dann muss man natürlich wissen, wo haben sie die bestellt, wann kommen die an? Und dann müssen die unbemerkt die Geräte präparieren. Das geht ja nicht nur aus der Ferne, dazu muss man ja physischen Zugang haben", mutmaßt der Experte.

Das alles spreche für eine Sicherheitsbehörde und einen Akteur "mit erheblichem Wissen und mit sehr, sehr vielen technischen Fertigkeiten", so Lange. Sprich: der israelische Geheimdienst Mossad.

Der mit der Hisbollah verbündete libanesische Parlamentsvorsitzende Nabih Berri nannte die Attacke ein "Massaker und Kriegsverbrechen Israels". Militärexperte Lange sieht in der Aktion eine "Möglichkeit mit möglichst wenig Kollateralschäden Terroristen unschädlich zu machen“.

1996 wurde der Hamas-Militärchef und Bombenbauer Jihia Ajasch durch Sprengstoff in seinem Mobiltelefon getötet, gezündet durch einen Anruf aus der Ferne. Israel sei damals – soweit bekannt – das erste Land gewesen, das ein Kommunikationsgerät für ein Attentat genutzt habe, so der israelische Geheimdienstexperte Ronen Bergman.

Steckt wirklich Israel hinter der Attacke?

Es gibt bisher keine Stellungnahme aus Israel, auch wenn es kaum Zweifel daran gibt, dass Israels Geheimdienst hinter dieser Attacke stecken dürfte. Auch über die verwendete Technik, die Funkempfänger zur Explosion zu bringen, ist nichts bekannt. Viele offizielle Stellen hüllen sich in Schweigen. Es sei sogar absolut rätselhaft, wie die Explosionen ausgeführt wurden, sagte ein Sprecher des Deutschen Sprengverbands auf WDR-Anfrage. Eine Funkfernzündung könne in Deutschland nur im sichtbaren Bereich durchgeführt werden, nicht aber über so viele Kilometer.

Unklar ist auch, ob es in der Hisbollah-Führungsriege Opfer gibt. Hisbollah-Chef Nasrallah hat eine Rede für Donnerstag angekündigt, daher gehen Beobachter davon aus, dass es ihm höchstwahrscheinlich gut geht. Er lebt im Verborgenen, es wird davon ausgegangen, dass er keine technischen Geräte bei sich führt. Libanesischen Sicherheitskreisen zufolge sollen allerdings zwei seiner Leibwächter verletzt worden sein.

Unsere Quellen:

  • WDR5-Interview mit Sicherheitsexperte Nico Lange
  • Gespräch mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI)
  • Anfrage Deutscher Sprengverband Siegen
  • Nachrichtenagenturen Reuters, dpa

Über dieses Thema berichten wir am 18.09.2024 unter anderem auch in der Aktuellen Stunde im WDR Fernsehen, um 18:45 Uhr.

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