Ukraine: Russland erklärt Annexion von vier Gebieten - wie geht es weiter?

Stand: 30.09.2022, 21:31 Uhr

Der russische Präsident Wladimir Putin hat vier besetzte ukrainische Gebiete zu russischem Staatsgebiet erklärt. Was das bedeutet und wie der Westen reagiert.

"Es gibt vier neue Regionen in Russland", sagte Putin am Freitag bei einer Rede in Moskau. Die dortigen Bewohner seien "für immer unsere Bürger". Mit der Annexion erklärte Putin circa 15 Prozent des ukrainischen Staatsgebietes für russisch.

Der Annexion waren Scheinreferenden vorausgegangen, die die russischen Behörden in den Regionen Saporischschja, Cherson, Luhansk und Donezk durchgeführt hatte. Dabei soll sich laut russischen Angaben eine große Mehrheit für die Annexion entschieden haben.

USA verhängen Sanktionen

Als Reaktion auf die russische Annexion verhängen die USA weitere Sanktionen gegen Russland. Russland würden wegen der "betrügerischen und rechtswidrigen Annexion" von Regionen der Ukraine "schnelle und hohe Kosten" auferlegt. Die Strafmaßnahmen richten sich unter anderem gegen weitere russische Regierungsvertreter, deren Familienmitglieder sowie Angehörige des Militärs, wie die US-Regierung heute in Washington mitteilte.

Außerdem drohen die USA laut der Erklärung zusammen mit ihren G7-Partnern jenen Einzelpersonen, Organisationen und Staaten Konsequenzen an, die die russischen Annexionspläne politisch oder wirtschaftlich unterstützen.

EU: "Werden Annexion niemals anerkennen"

Die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten haben die Annexion als unrechtmäßig zurückgewiesen. "Wir werden diese illegale Annexion niemals anerkennen", heißt es in einem am Freitag veröffentlichten Statement. "Diese Entscheidungen sind null und nichtig und können keinerlei Rechtswirkung entfalten." Weiter heißt es, man lehne die Annexion entschieden ab und verurteile sie unmissverständlich. Russland setze damit die globale Sicherheit aufs Spiel. Zugleich betonen die Staats- und Regierungschefs, weiter entschlossen an der Seite der Ukraine zu stehen. Man unterstütze die territoriale Integrität und Souveränität des Landes ohne Wenn und Aber.

Selenskyj: "Gibt mit Putin nichts zu besprechen"

Putin forderte nach der Annexion die Ukraine auf, umgehend jegliche militärischen Handlungen einzustellen und an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nannte die Abstimmungen in einer Videobotschaft an den UN-Sicherheitsrat einen "zynischen Versuch", die Männer in den besetzten Gebieten für die russische Armee zu mobilisieren. Die russische Anerkennung der "Pseudo-Referenden" bedeute, "dass es nichts zu besprechen gibt mit dem amtierenden russischen Präsidenten", erteilte Selenskyj Verhandlungen mit Moskau eine Absage.

Ukraine will zügige Aufnahme in Nato beantragen

Als Reaktion auf die Unterzeichnung von Abkommen in Moskau hat Selenskyj einen Antrag zur zügigen Aufnahme seines Landes in die Nato angekündigt. "Wir unternehmen einen entschlossenen Schritt, indem wir die Bewerbung der Ukraine um beschleunigten Beitritt zur Nato unterzeichnen", sagte Selenskyj am Freitag in einem Video, das nur wenige Minuten nach der Unterzeichnungszeremonie im Kreml verbreitet wurde.

Die ukrainische Regierung empfiehlt ukrainischen Männern im wehrfähigen Alter in den besetzten Gebieten zweierlei: Entweder sie sollten die Gebiete so schnell wie möglich verlassen oder sich freiwillig in Kriegsgefangenschaft begeben. So könnten sie einem möglichen Einzug Russlands entgehen.

Zurückhaltende Reaktionen auf Beitrittswunsch

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat sich zum Nato-Aufnahmeersuchen der Ukraine zurückhaltend geäußert. "Wir unterstützen die Ukraine weiterhin auch mit schweren Waffen bei ihrem Recht auf Selbstverteidigung, aber wir tun alles dafür, dass nicht andere Länder, dass die Nato nicht in diesen Krieg hineingezogen wird", antwortete sie im ARD-"Brennpunkt" auf die Frage nach ihrer Position zum Nato-Antrag der Ukraine.

Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg äußerte sich zurückhaltend zur Entscheidung von Selenskyj. Russland hingegen warnte er vor dem Einsatz von Atomwaffen in der Ukraine und verurteilte die Annexion durch Russland als illegal.

Was bezweckt Russland mit einer Annexion?

Die russische Führung will nach Einschätzung britischer Geheimdienste mit der Annexion den Angriffskrieg vor der eigenen Bevölkerung rechtfertigen. Die Einverleibung der Gebiete werde der Rechtfertigung von Russlands "spezieller Militäroperation" in der Ukraine dienen und habe das Ziel, die patriotische Unterstützung des Konfliktes zu festigen, hieß es am Dienstag in einem Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte bereits vor Putins Erklärung, dass Russland nach der Annexion Kämpfe in diesen Gebieten als Angriff auf seine Souveränität werten werde. Das sei dann ein Akt der Aggression.

Wie soll der Westen auf die neue Situation reagieren?

Nach Einschätzung von Claudia Major, Sicherheitsexpertin der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), glaubt Putin, er könne den Konflikt länger durchstehen als die westlichen Staaten. Er hoffe, dass die westliche Unterstützung für die Ukraine bröckele, wenn die Energiepreise weiter steigen und es möglicherweise zu sozialen Spannungen im Westen komme.

Die Frage sei also, so Major: "Schaffen wir es, die politische Geschlossenheit zu wahren, die ja erst die Voraussetzung dafür ist, die Ukraine langfristig zu unterstützen? Oder lassen wir uns auseinanderdividieren?"

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