Ist ein schneller NATO-Beitritt der Ukraine möglich?

Stand: 01.10.2022, 13:29 Uhr

Nach der russischen Annexion von ukrainischen Gebieten hat die Ukraine einen Antrag gestellt auf einen beschleunigten NATO-Beitritt. Aber ist ein NATO-Beitritt des Landes aktuell überhaupt möglich?

Die Ukraine will in die NATO – und zwar so schnell wie möglich. Unmittelbar nach der Annexion der ukrainischen Gebiete Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja unterzeichnete der Präsident des Landes Wolodomyr Selenskyj einen Antrag auf Aufnahme in das Verteidigungsbündnis.

Faktisch habe man den Weg in die NATO bereits beschritten, erklärte Selenskyj am Freitag. "Heute stellt die Ukraine den Antrag, um es auch de jure zu tun", fügte er hinzu. Der Wunsch einer Mitgliedschaft in der NATO und der EU ist in der Ukraine bereits seit 2019 in der Verfassung des Landes festgeschrieben.

Gemischte Signale aus den Mitgliedsstaaten

Von der NATO und ihren Mitgliedsstaaten kommen unterschiedliche Signale. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg betonte, dass die Tür des Verteidigungsbündnisses offen bleibe. Eine Entscheidung müsse aber von allen Mitgliedern im Konsens getroffen werden.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock reagierte zurückhaltend. Man unterstütze die Ukraine weiterhin mit schweren Waffen, aber: "Wir tun alles dafür, dass die NATO nicht in diesen Krieg hineingezogen wird."

Eindeutige Unterstützung kommt dagegen aus den baltischen Staaten. Die Außenminister Estlands, Lettlands und Litauens erklärten am Freitag auf Twitter wortgleich: "Die baltischen Freunde der Ukraine unterstützen voll und ganz die Aufnahme der Ukraine in die NATO so bald wie möglich. Der inspirierende Mut der Ukraine kann unser Bündnis nur stärken."

Formal möglich – praktisch schwierig

Doch ist ein schneller Beitritt in die NATO überhaupt möglich? Rein formal ja. Die Aufnahme neuer Mitglieder ist in Artikel 10 des Nordatlantikvertrags geregelt. Dort heißt es: "Die Parteien können durch einstimmigen Beschluss jeden anderen europäischen Staat, der in der Lage ist, die Grundsätze dieses Vertrags zu fördern und zur Sicherheit des nordatlantischen Gebiets beizutragen, zum Beitritt einladen. Jeder so eingeladene Staat kann durch Hinterlegung seiner Beitrittsurkunde bei der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika Mitglied dieses Vertrags werden."

Einstimmiger Beschluss notwendig

Der entscheidende Punkt ist also: Alle Mitgliedsstaaten müssen zustimmen. Das ist angesichts der aktuellen Lage mehr als unwahrscheinlich. Denn da sich die Ukraine im Krieg mit Russland befindet, wäre die NATO automatisch auch Kriegspartei – gegen eine Atommacht.

Das regelt Artikel 5 des Nordatlantikvertrages, der berühmte Bündnisfall. Die entscheidende Passage lautet:

"Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird." Auszug aus Artikel 5 des Nordatlantikvertrags der NATO

Aus diesem Grund sehen Sicherheitsexperten eine schnelle Aufnahme kritisch. Eine NATO-Mitgliedschaft wäre ein gefährlicher Schritt, meint etwa Joachim Weber vom Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies der Universität Bonn.

Andere Möglichkeiten der Kooperation

Doch jenseits einer NATO-Vollmitgliedschaft gibt es auch andere Möglichkeiten formaler Zusammenarbeit. Zum Teil werden die bereits genutzt.

So gibt es etwa einen Aktionsplan für Beitrittskandidaten, den sogenannten "Membership Action Plan" (MAP) der NATO. Der wurde 1999 ins Leben gerufen und sieht jährliche Beratungen zwischen den NATO-Staaten und den Beitrittskandidaten vor. Mehrere Länder, unter anderem die baltischen Staaten waren zunächst Teil dieses Programms, bevor sie offiziell NATO-Mitglieder wurden.

Die Teilnahme am Membership Action Plan gilt als Voraussetzung für die Aufnahme. Sie ist aber keine Garantie dafür, dass es auch schnell geht. Nordmazedonien etwa nahm seit 1999 teil, wurde aber erst 2020 Nato-Mitglied. Derzeit ist nur ein Land Teil des Programms: Bosnien-Herzegowina.

Das Gründungsdokument des Membership Action Plans vom April 1999 stellt zudem eine wichtige Bedingung auf, die eine Teilnahme der Ukraine verhindern könnte: Von Beitrittskandidaten wird erwartet, dass diese ihre internationalen Konflikte friedlich lösen.

Daneben gibt es auch den individuellen Partnerschaftsaktionsplan ("Individual Partnership Action Plan", kurz: IPAP). Der soll helfen, die Kooperation zwischen der NATO und einzelnen Ländern zu vertiefen, eine Perspektive für einen zukünftigen Beitritt in das Verteidigungsbündnis ist aber nicht vorgesehen. Die Ukraine nimmt bereits seit 2021 an diesem Programm teil.

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